Das ÖVP-Wahlprogramm mit drei Ausschlägen nach ganz rechts

Analyse des ÖVP-Parteiprogramms aus antifaschistischer Perspektive

Die Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat sowie die Vorsitzführung im Europarat (2013/14) und im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (2014) sind für uns eine Chance, um eigene Themenschwerpunkte zu setzen. Der Schutz der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit und der Rechte von Kindern sind fester Bestandteil der österreichischen Menschenrechtspolitik. Der Dialog der Religionen und Kulturen und der Schutz religiöser Minderheiten, insbesondere der Christen, sind uns als christlichsozialer Partei ein wichtiges Anliegen. Die ÖVP bleibt auch ein traditioneller und verlässlicher Partner für Heimatvertriebene.

(ÖVP-Wahlprogramm Seite 69)

Heimatvertriebene im Gegensatz zu Flüchtlingen

Mit dem Narrativ der „Heimatvertriebenen“ wird versucht, in rassistischer und revanchistischer Manier kontextlos die deutsche Bevölkerung in Tschechien vor 1945 als die wahren Opfer des Zweiten Weltkriegs darzustellen. Ohne Ursache und Wirkung wird so getan, als sei die Rote Armee ’45 quasi aus dem Nichts gekommen und hätte die „brave“ deutsche Zivilbevölkerung vertrieben. Das passt gut in die Entmenschlichung der Roten Armee, die sofort nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. Während die amerikanische, britische und mit Abstrichen französische Armee als „Befreier“ (wenn überhaupt) wahrgenommen wurde, wurde die Rote Armee zu tiergleichen „Untermenschen“ gemacht. Dass dieses Bild noch immer nicht überwunden ist und eine unhinterfragte Wahrheit im kollektiven Gedächtnis der Deutschen (Österreicher_innen sowieso) bildet, zeigt etwa der Film „Der Untergang“. Dort wird der netten, sympathischen Hitler-Sekretärin und vielen „guten“ Nazis die schmutzige, tiergleiche Rote Armee entgegen gesetzt. Im Narrativ der „Heimatvertriebenen“ ist das ganz ähnlich: die „edlen“, „guten“ Deutschen wurden brutal und aus dem Nichts von diesen schmutzigen, unzivilisierten Barbaren aus „ihrem“ Heimatland vertrieben. Kein Wort über die Verbrechen der Wehrmacht und der SS in der Sowjetunion. (Auslöschen ganzer Dörfer, Vergewaltigungen, Folter, Massaker) Kein Wort darüber, wer diesen Krieg begonnen hat. Kein Wort über die wahren Opfer dieses Krieges. Kein Wort darüber, dass ca. 14 Millionen Sowjetsoldat_innen im Kampf gegen den Nationalsozialismus gefallen sind. (Und nein, die Sowjetführung ist nicht zimperlich mit den eigenen Soldat_innen umgegangen)

Unmittelbar nach ’45 wurden also diese „Heimatvertriebenen“ zum Symbol dafür, dass die Deutschen doch irgendwie Opfer gewesen sind. Und sie wurden zu einem großen Machtfaktor vor allem in der deutschen Politik. Die Ostgrenzen wurden von der BRD nie anerkannt, in der Hoffnung in revanchistischer Manier doch irgendwie die Ostgebiete zurück zu bekommen. Die Oder-Neiße-Grenze wurde erst 1990 (!) offiziell anerkannt. Konrad Adenauer bemühte sich redlich, diese zahlenmäßig nicht unwesentliche Bevölkerungsgruppe als Wähler_innen zu gewinnen und legte den Grundstein für die Macht, die die Vertriebenenverbände bis heute in der CDU/CSU haben. Erst kürzlich wurde um viel Geld ein „Vertriebenen“-Zentrum in Berlin eröffnet. Hier zeigt sich auch, dass nicht nur irgendwelche obskuren rechtsextremen Gruppen mit Grenzverschiebungen und dem Nachtrauern nach vergangener „Größe“ kein Problem haben, sondern, dass dies ein Thema ist, welches Rechtsextreme und Bürgerliche einträchtig zusammen bringt.

So ist es kein Wunder, dass die „Heimatvertriebenen“ eines der großen Themen einer intellektuellen Rechten sind, die 1995 in einer spektakulären Aktion an die Öffentlichkeit ging. In der FAZ wurde pünktlich zum 8. Mai ein Appell veröffentlicht, der Schluss machen wollte mit der „einseitigen“ Deklarierung von Opfern und Tätern im Zweiten Weltkrieg. Dieser klar aus dem rechtsextremen Milieu kommende Angriff wurde von vielen Bürgerlichen dankbar aufgenommen und bis heute geistert die Nachkriegsopferthese umher. Auch in Österreich passt kein Blatt Papier zwischen Rechtsextreme und Bürgerliche, wenn es um „Heimatvertriebene“ geht. Die Thematik wurde nicht so groß diskutiert wie in Deutschland und hängt sich weitgehend an der „Beneš-Dekrete“ auf. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt werken die Landsmannschaften, die in offen revanchistischer und großdeutscher Manier Anspruch auf die Gebiete erheben. Die Publikation „Der Eckhart“ (früher Eckhartsbote) hat sich zu einem der wichtigsten rechtsextremen Medien im deutschsprachigen Raum gemausert. Dass die FPÖ hier keinerlei Berührungspunkte hat, ist wenig verwunderlich. Aber auch die ÖVP hat engen Kontakt zu den Landsmannschaften und subventioniert diese wo es geht. Das Bizarre ist, dass die „Heimatvertriebenen“ (von denen kaum noch einer am Leben ist) so verhätschelt werden, während richtige Flüchtlinge mit aller Härte bekämpft werden. Nicht zuletzt der Umgang mit den Refugees aus dem Servitenkloster zeigt die unglaubliche Heuchelei. Auch im Wahlprogramm werden Flüchtlinge vor allem mit Sicherheitsproblemen in Verbindung gebracht. Dazu wird in „guter“ law-and-order-Manier „Recht muss Recht bleiben“ proklamiert. Hier liegt der wahre Rassismus. „Gute“, deutsche Flüchtlinge werden auch noch in 100 Jahren verhätschelt, „böse“, „ausländische“ Flüchtlinge werden bestraft und unter Generalverdacht gestellt.

Christenverfolgung

In eine ähnliche Kerbe schlägt die „Christenverfolgung“. Eine Majorität in Österreich eignet sich den Opferstatus einer (christlichen) Minderheit in einem anderen Land an. Ein (fiktiver) Religionskrieg „gutes“ Christentum gegen „böser“ Islam wird dadurch befeuert. Dies wird weder kontextualisiert noch differenziert. So passt es auch in diese Logik, dass (christliche) Verfolgte zwar in einem anderen Land klar die Opfer, aber Verfolgte, die nach Österreich kommen, trotzdem die „Bösen“ sind. Ihnen wird eine Art Bündnis zu denen unterstellt, die irgendwo anders auf der Welt Christ_innen verfolgen. Das ist natürlich eine durch und durch rassistische Denkweise. So wird das Leid anderer gerne mit dem Leid von Flüchtlingen in Österreich aufgewogen und letzteren damit gesagt, sie hätten kein Anrecht auf ihr eigenes Leid. Es wird so getan, als seien Christ_innen die am meisten verfolgte Gruppe überhaupt und dementsprechend wird recht einseitig allein darauf aufmerksam gemacht. Bei Charity-Veranstaltungen fließen viele Gelder an NGOs, die sich einzig und allein mit diesem Thema beschäftigen. Flüchtlinge anderer Religionen oder die aus anderen Gründen verfolgt werden, gelten in dieser Logik nicht, wie der Umgang mit diesen beweist. (In Österreich aber z.B. auch die Weigerung solcher NGOs, Schwangerschaftsabbrüche nicht einmal nach Vergewaltigungen zuzulassen) Die ÖVP hat am 30. April gar eine ganze, hochkarätig besetzte Tagung samt Gottesdienst zum Thema „Christenverfolgung“ veranstaltet.

Das Thema ist kein alleiniges Thema (im Gegensatz zum Heimatvertriebenen-Narrativ) von rechtsextremer und rechtskonservativer Seite. NGOs, die sich für alle Flüchtlinge einsetzen, aber auch liberale Kirchen (ja, so etwas gibt es hie und da) setzen sich mit dem Thema auseinander und sollen auf gar keinen Fall in einen Topf mit Rechtsextremen geworfen werden. Der Unterschied liegt im „wie“. Wenn das Thema wie oben beschrieben angelegt ist, dann ist das ein ideales Brückenthema zwischen etablierten bürgerlichen und rechtsextremen Gruppen. Damit verbunden sind oft blanker Rassismus und ein Abwerten anderer Flüchtlinge und NGOs, die für diese arbeiten. Die Aufnahme der „Christenverfolgung“ bei Menschenrechten und die Verbindungen der „restlichen“ Flüchtlingspolitik mit grauslichem Rechtspositivismus und Sicherheitsfragen ist ein klares Schielen nach rechts. Das ist nicht verwunderlich, da viele ÖVP-Umfeld-Organisationen tief in diesen Kreisen verwurzelt sind. Der Cartellverband (CV) ist ein starker Faktor in einem streng rechtskonservativen bis antidemokratischen Milieu, wo Menschenrechte nur für Christ_innen gelten und Dollfuß und Franco Helden sind.

Extrem.Is.Mus(s)

Österreich ist sehr erfolgreich, was den Kampf gegen Terrorismus und extremistische Straftaten betrifft. Nicht zuletzt deshalb sind wir bisher großteils davon verschont geblieben. Wir werden auch weiterhin gegenüber Hasspredigern, ideologisch motivierten Extremisten und all jenen, die unsere Demokratie in Frage stellen, mit Null Toleranz vorgehen. Jede offene Gesellschaft braucht wirksame Instrumente, um sich gegen ihre Feinde zu verteidigen.

(ÖVP-Wahlprogramm Seite 72)

Nach Österreich kommt jedes Thema ca. fünf Jahre später. So versucht die ÖVP auch die leidige Extremismus-Debatte nach Österreich zu bringen. Eigentlich ist längst alles gesagt. Wer von einem Linksextremismus=Rechtsextremismus-Kugel-Kreis-Hufeisen-Modell ausgeht, hat einfach etwas Grundlegendes nicht verstanden. Etwa, dass es einen Unterschied macht, ob das Grundgesetz abgelehnt wird, weil mensch gerne ein demokratischeres Gesetz hätte oder weil mensch gerne Vernichtungslager aufsperren möchte. In Deutschland wurde die Extremismus-Theorie zur Staatsdoktrin erhoben und damit antifaschistische Arbeit dort, wo sie am dringendsten nötig ist, erschwert. Die Arroganz und Chuzpe ist atemberaubend: Bei Rechtsextremisten wegschauen und sie vielleicht sogar noch fördern, als Partei(en) nichts gegen Rechtsextremismus unternehmen, als Regierung die Kommunen und Gemeinden sich selbst überlassen und dann die bestrafen, die in Selbstorganisationen gegen Nazis aufstehen. So in etwa dürfte sich das die ÖVP auch vorstellen, auch wenn CDU und vor allem CSU damit gnadenlos gescheitert sind. Mit den Kriminalisierungsversuchen von Anti-WKR-Ball-Demos und Tierschützer_innen wurden schon erste Markierungen gesetzt. Gleichzeitig können sich Nazis in Österreich frei bewegen. Weder der WKR-Ball wurde und wird beobachtet noch das Objekt 21 hatte das Innenministerium am Radar. Bei Nazikonzerten begrüßt die Polizei die Gäste mit Handschlag (http://www.youtube.com/watch?v=5UPBSVKZZDk) und auch bei anderen Naziaktivitäten (etwa Alpen-donau.info) agiert das schwarze Innenministerium mehr als lax. Im Verfassungsschutzbericht werden bei Rechtsextremismus nicht einmal Organisationen geschweige denn Treffen oder Namen genannt, während dies bei „Linksextremismus“ sehr wohl der Fall ist. „Islamischer“ Terror wird dort sowieso zur größten aller Gefahren stilisiert, während die Straftaten klar zeigen, dass diese der Rechtsextremismus ist. Dieser hat, im Gegensatz zu allen anderen „Gefahren“ im Verfassungsschutzbericht, auch schon zu etlichen Todesopfern in der Zweiten Republik geführt. Über die Zeit davor und die Kontinuitäten brauchen wir ja eigentlich nicht reden. Anstatt die größte Gefahr beim Namen zu nennen, wird Rechtsextremismus nebulös unter „Extremismus“ versteckt. Das schützt Rechtsextreme, das schützt Nazis. Das suggeriert, dass jene, die sich antifaschistisch betätigen genauso sind wie Rechtsextreme. Gleichzeitig suggeriert es, dass es eine „gute“ unpolitische Mitte gibt, die das zu erreichende Ideal darstellt. Und das ist die ÖVP. Das ist völlig abstrus, wenn wir wissen, was z.B. der CV so alles tut und wenn wir sehen, welche Gesetze von der „Mitte“ beschlossen wird. Die „Mitte“ kann genauso rassistisch, homophob etc. pp. sein, wie ein „rechtsextremes Eck“. So ein Verhalten der „Mitte“ gibt rechter Gewalt erst Auftrieb und legitimiert diese. Damit gibt es einen qualitativen Unterschied was Gewalt betrifft, aber sonst keinen. Es gibt keine zwei Extreme und eine Mitte. Es gibt Narrative und Diskurse, die unterschiedlich bedient und gefördert werden. Wird ein rechtsextremer Diskurs, wie die drei genannten, befeuert, dann hilft das, wenig überraschend, vor allem jenen, die diese Logiken auch in physischer Gewalt Ausdruck verleihen wollen.

Hier eine Auflistung, wo das Innenministerium im Kampf gegen Rechtsextremismus versagt hat:

  1. Der WKR- oder „Akademiker“-Ball wird als das größte Treffen der internationalen, rechtsextremen Elite weder beobachtet noch thematisiert
  2. Antifaschistische Gruppen werden kriminalisiert
  3. Potentiellen Verbindungen zur NSU wird nicht nachgegangen (die Burschenschaft Raczeks zu Bonn mit engen Kontakten zum WKR, Normannia Jena)
  4. Rechtsextreme Gewalt wird unterschätzt und verleugnet (siehe Angriff auf den ehemaligen Bundesratpräsidenten Konecny)
  5. Vor den Augen des Innenministeriums konnten sich Netzwerke im Umfeld von organisierter Kriminalität, Gewalt und Rechtsextremismus etablieren – siehe Objekt 21
  6. In Österreich können Nazikonzerte völlig unbehelligt stattfinden (siehe Recherchen des Journalisten Thomas Kuban und der Dokumentation „Blut muss fließen“)