Und wieder schauen alle verwundert drein. Sie süffeln an ihrem Wein oder Aperol Spritzer und versichern sich via Twitter, dass sie auch wirklich total moralisch entrüstet sind, dass die FPÖ sooo stark ist. Was müssen die Wähler_innen nicht wahlweise für bescheuerte, kranke, gehirnamputierte oder schlichtweg dumme Menschen sein. Padauz, was erlauben? Wie konnte die Mehrheit der jungen Männer und der Arbeiter_innen nur die FPÖ wählen?! Dumm, dumm, dumm. So in etwa die Reaktion auf das richtig erfolgreiche Wahlergebnis von 21,4% der FPÖ. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Sich der eigenen moralischen Überlegenheit versichern, ein bisschen weinen über die moralische Ungerechtigkeit und so tun, als wäre nix oder sich eben anschauen, wie es dazu gekommen ist. Im Folgenden nur ein paar Schlaglichter, wovon wahrscheinlich jedes Einzelne Bücher füllen könnte. Es bringt nämlich wirklich nichts, ein Ergebnis hochzujubeln, weil die FPÖ eh nur auf Platz 3 ist und wahlweise eh nur 2% verloren wurden oder man sogar ein ganzes Prozent dazugewonnen hat. Die FPÖ ist 10% vor den Grünen, es gab nie ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die SPÖ ist in Reichweite der FPÖ, die ÖVP sowieso.
Die FPÖ und die Arbeiter_innen
Die FPÖ überzeugt das wahlberechtigte (in diesem Fall besonders wichtig zu erwähnen, denn große Teile dieser Schicht sind von den Wahlen ausgeschlossen) Proletariat für sich. Das liegt nicht daran, dass die Arbeiter_innen alle so blöd oder genuin rassistisch mit geschlossenem Weltbild sind. Es liegt daran, dass die FPÖ die soziale Frage thematisiert. So authentisch wie offenbar keine andere Partei. Das liegt nicht nur an den berühmten einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Denn auch sonst offerieren viele auch keine komplexen Lösungen für komplexe Probleme. Entweder gibt es Durchhalteparolen oder ein „Ist eh alles super“-Gestammel. Die FPÖ kanalisiert als einzige Partei Protest und Unmut. Und das ist eine ureigene Aufgabe einer Arbeiter_innen-Partei. Die FPÖ ist natürlich keine genuine Arbeiter_innen-Partei, hat kein Interesse an Klassenkampf und denkt ganz generell nicht in Klassen, sondern in konstruierten Gebilden wie „Rassen“ (ja, wirklich) oder Nationen. Aber sie kanalisiert den Protest und führt ein eigenes Narrativ in die soziale Frage hinein, indem sie sie rassistisch erklärt. Dabei muss sie gar keine Lösungskompetenz beweisen, sondern immer nur weiter drauf hauen. Migrantische Arbeiter_innen sind hier am ärgsten getroffen: Sie können sich nicht via Wahlen wehren, haben keine Stimme in der österreichischen Politik und das Umfeld um sie herum wird ihnen gegenüber immer feindlicher. Aber einfach nur über die „Prolos“ zu schimpfen (gerne auch in Form von Fußball-Fans oder „Unterschichten-TV-Shows“) bringt gar nix, außer sich in bürgerlicher Weinerlichkeit zu suhlen. Die soziale Frage konsequent, kämpferisch, nicht defensiv und ohne Rassismus zu thematisieren – Das ist nicht leicht und geht nicht von heute auf morgen. Viele Gewerkschaften leisten hier (zum Glück) auch gute Arbeit, aber in Stimmen bei der Nationalratswahl landen diese Stimmen bei der FPÖ. Weil sie sich dort am Besten aufgehoben fühlen.
Nichts ist gut für die Jugend
Es läuft gerade nicht wirklich so viel rund in Europa. Wir leben in keiner Zeit kollektiver Euphorie und Zukunftsfreude. Unsere Eltern oder Großeltern sahen das noch anders, zweifelten nicht an ihren Pensionen und waren nicht alle paar Monate arbeitslos oder hatten befristete Verträge, die einen zweifeln lassen, wie es in einem halben Jahr weitergehen soll. Das ist das Lebensgefühl einer Generation von Unter-30-Jährigen. Die, die vom formalen Bildungssystem auch noch aussortiert wurden, trifft es (wie immer) noch schlimmer. Firmen suchen sich Lehrlinge aus und viele bleiben am Schluss über. Das System streckt ihnen richtig schön den Mittelfinger entgegen und macht ihnen klar: Dich brauchen wir nicht, du bist überflüssig. Es verwundert nicht, dass diese Leute wirklich keinen Bock auf die Regierungsparteien oder Strahle-Grüne haben, denen Radständer ein größeres Anliegen sind. Wo sind denn die jungen Leute ganz vorne, die das überzeugend thematisieren, egal in welcher Partei?
Die FPÖ ist eine rechtsextreme Partei
Das ist in der sozialwissenschaftlichen Forschung ziemlich anerkannt. Interessiert in Österreich nur niemanden. Weder gibt es eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, noch eine mediale, die über die bloße punktuelle Empörung hinausgeht. „Nazi, Nazi, Nazi“-schreien ist viel zu wenig, wenn man sich ernsthaft über Rechtsextremismus unterhalten möchte. Es gibt keine Strategien, wie mit so einer Partei umzugehen ist. Es gibt keine Analyse über ihre Strategien. Es gibt nur sehr oberflächliche Betrachtungen zwischen Lethargie und Kreischen.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus
… ist in Österreich auf einer hohen Ebene recht inexistent. Es gibt tolle Initiativen, Einzelpersonen und lose Zusammenschlüsse, die ganz, ganz tolle Arbeit leisten. Aber es gibt keine staatlich finanzierten think tanks, Programme oder Personen. Es gibt keine Aussteigerprogramme, es gibt nicht einmal ein Info-Telefon, es gibt keine regelmäßigen Publikationen von irgendeiner Seite und schon gar nicht gibt es ein Forum, wo all diese Leute einmal zusammenkommen könnten. Das ist jetzt weniger ein Versagen von Parteien an sich, sehr wohl aber von Teilorganisationen. Eitelkeiten, Befindlichkeiten und plumpe Agitation für den eigenen Minisumpf haben viel kaputt gemacht in der antifaschistischen Szene in Österreich. Es fehlt aber eben auch an grundsätzlichen Rahmenbedingungen, die zumindest den Kampf nicht behindern. Ein besonderes Ärgernis ist der Verfassungsschutz, wie schon dargelegt. Die Erkenntnisse von qualifizierten Personen und Initiativen quer durch alle Bundesländer schaffen es leider selten bis nie auf höhere Ebene.
In den Medien gibt es eine liberale Hegemonie
Es gibt keine linken Medien in Österreich, außer vielleicht den Augustin. Standard und Falter sind liberal, nicht links. Das haben sie oft genug bewiesen. Die sind zwar auch ganz empört, wenn es um die FPÖ geht, aber sie übernehmen ihre Narrative. Unvergessen der Spengler-Fan, der vor einem Jahr im Sommer im Standard ein Interview gab und den Rausschmiss Griechenlands auf die denkbar autoritärste Art und Weise forderte. Kommentarlos. Solche neoliberalen Freakos dürfen recht oft zu Wort kommen in Österreich. Auch der Falter übernimmt Narrative, etwa gegen die böse Politische Korrektheit. Wenn es eine linke Zeitung gäbe, wäre vieles einfacher, so bleiben linke Stimmen stumm. Die liberale Hegemonie zeigt sich im Hype um die Neos, die reingekommen sind, weil sie von den Medien reingetragen wurden. Die KP etwa bekam nie diese Aufmerksamkeit, hat aber weit vernünftigere Ansätze. Die Ideologie der Neos (ja, die haben eine!) ist die, die hinter der Wirtschaftskrise steht. Diese ermöglichte in letzter Konsequenz erst den Aufstieg der FPÖ.
Wenn niemand das thematisiert, was die FPÖ (authentisch) thematisiert; wenn niemand sieht, dass es den Meisten eben nicht superleiwand geht; wenn niemand sich analytisch mit Rechtsextremismus beschäftigt und wenn niemand linken Antworten auf die Krise zu einer Stimme verhilft, dann ist es eine schöne Chuzpe, FPÖ-Wähler_innen als irrationale Trottel zu bezeichnen. Sie wählen so, nicht weil sie moralisch so verkommen sind, sondern weil sie glauben, dass das am meisten ihren Interessen entspricht. Das ist bitter, aber das einzugestehen steht ganz, ganz vorne in einer ersten Analyse.