Über die lächerlichen Denunziationsversuche, indem bei SYRIZA in Klammern fein säuberlich „linksextrem“ dazugeschrieben wird, möchte ich noch ein paar Worte verlieren. Es zeigt, wie peinlich der Extremismusbegriff ist. Nicht dass SYRIZA sich schämen müsste als radikale Linke bezeichnet zu werden, aber im deutschsprachigen Fernsehen wird das, aus der eigenen Logik heraus verständlich, abwertend gemeint. Bei AfD, NPD, FPÖ und Co steht kein entsprechender Verweis. Die Angst vor Linken ist größer als die vor Rechtsextremen. Das passiert alles in Europa im Jahr 2014. Diese Mischung aus Angst, Hoffnungslosigkeit, Desillusionierung, aber auch Wut und der Erkenntnis, sich nicht auf etablierte Institutionen verlassen zu können, wird eine treue Begleiterin werden in den nächsten Jahren. Das ist kein Spiel.
Monthly Archives: May 2014
Die Identitären verbieten
Überraschend hat der Wiener Bürgermeister nun einen Vorschlag, wie mit den Identitären umzugehen ist: Verbieten. Das hat durchaus etwas Amüsantes. Wirklich. Lassen wir das kurz sacken. Drehen wir es kurz nocheinmal schön funkelnd im Kopf herum. Ích lass euch noch kurz Zeit. Was für eine wunderbare Welt das wäre. So.
Und jetzt zum Spiele verderben. Ein Verbot der Identitären geht am Problem vorbei. Es führt zu Nichts und ist ein Scheingefecht. Unter Umständen kann es sogar kontraproduktiv sein. Ein ernthaftes Verbotsverfahren (falls das neben Verbalradikalismus überhaupt die Intention war), das scheitert bedeutet nämlich ein Erfolgserlebnis für die gesamte rechtsextreme Szene. Schon in Deutschland bei der NPD (wo es daran scheiterte, dass der Verfassungsschutz nicht mehr wusste welche Nazis von ihnen und welche von der NPD selbst bezahlt werden) hat man gesehen, dass soetwas hinderlich ist. Hinzukommt, dass die Chance bei der NPD wohl ungleich höher war, als es bei den Identitären ist, dass soetwas durchgeht. Die Notwendigkeit ist auch viel höher, da sich die NPD über Parteiförderung etc finanziert, was bei den Identitären nicht der Fall ist (und wenn von den Förderungen einer anderen Organisation/Partei und nicht an sie direkt).
Es gibt aber noch einen weiteren viel triftigeren Grund. Ein Verbot verschleiert den Kern dessen was die Identitären und die Neue Rechte sind. Ein Verbotsverfahren nach Verfassungsfeindlichkeit geht von einer extremen, isolierten Gefahr aus einem rechten „Eck“ für die Demokratie aus. Das mag auch so sein und in gewissen Fällen mag es eine durchaus sinnvolle Maßnahme sein (auch wenn Radikalisierung, Abtauchen in den Untergrund etc mitbedacht werden müssen), aber bei der Neuen Rechten funktioniert dieses Modell nicht. Es gibt keine „gute“ bürgerliche, neutrale Mitte, die von rechts passiv bedroht wird. Die Ideologie und Narrative der Identitären sind mitten drin in dieser Mitte. Das soll keine Überhöhung des Stellenwerts der Identitären sein, sie haben wenig bis nichts dazu beigetragen. Aber eine wieder erstarkte Neue Rechte, die mit den Sarrazins, Unterbergers und Pirinçcis dieser Welt große Aushängeschilder hat, ist so gefährlich, weil ihre Protagonist_innen eben genau dieser „Mitte“ entstammen. Das sind nicht ein paar dumme Glatzen, sondern Uniprofessor_innen, Zeitungsherausgeber_innen, Autor_innen usw. Es geht ihnen um Diskursverschiebung. Es ist wichtig zu begreifen, dass sich diese Diskursverschiebung nach rechts nicht mit einem Verbot abschütteln lässt. Es ist auch wichtig zu begreifen, dass es keine klare, eiserne Trennlinie zwischen bürgerlichem, konservativen und rechtsextremen Lager gibt. Beide bedienen die selben Diskurse und arbeiten offen zusammen. Die Identitären hatten schon Auftritte bei FPÖ und AfD, ihre etwas erwachseneren Buddies von Sezession, blaue Narzisse und Junge Freiheit sind mitten drin in einer Szene, der auch CDU/CSUler_innen, CVler und der Rest der „Das wird man doch noch sagen dürfen“-Fraktion angehören.
Die Identitären sind hier der aktionistische und weniger der theoretische Arm dieser Szene, die sich sehr im Fluß befindet und eine gewisse Dynamik für sich hat. Aber sie gehören zu dieser Szene und ein Verbot mag amüsant sein, löst aber nicht das Grundproblem: Diskurse der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit sind nicht auf isolierte, versprengte Neonazizellen beschränkt.
Identitäre Bürgerwehren in Frankreich
Während die Identitären in Österreich ein überschaubarer Haufen sind haben die Identitären in Frankreich eine durchaus beachtenswerte Größe erreicht. Immerhin sind sie kampagnenfähig. Aktuell versammelt sich die Génération identitaire hinter dem Slogan „Génération Anti- Racaille“. Racaille steht für „Pack“ und „Abschaum“ und wurde durch den damaligen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy öffentlichkeitswirksam gegen die Protestierenden der Pariser Banlieues verwendet.
Das Wort dient also klar zu einer Aussonderung von unliebsamen Elementen einer Gesellschaft. Für die Génération Identitaire sind das neben linken Aufrührer_innen vor allem Migrant_innen. Racaille wird also, wie schon bei Sarkozy, klar rassistisch verwendet. Es dient als Label für Alle, die nicht dazu gehören, für die die „anders“ sind. Dazu gibt es allerlei Aktionismus. Beachtenswert ist dabei, dass sie eine Art identitäre Bürgerwehren gründen, um sich und die guten Elemente der Gesellschaft gegen Raceilles zu verteidigen.
Mit gelben Jäckchen mit Lambda-Symbol ziehen die sich hilfsbereit und nett gebenden Aktivist_innen durch die U-Bahnen von Paris und Lyon und patrouillieren. Selbstinszenierend wird das fotografiert und online gestellt. Die Botschaft dahinter ist klar: Wir treten als Pulk auf, wie wissen uns zu verteidigen, das ist unser Territorium. Was als Selbstschutz daher kommt ist nichts anderes als eine Drohung gegen Linke und Migrant_innen (oder wer als eines von beiden empfunden wird)
Dabei geht die Génération Identitaire ganz geschickt vor. In der Teilübernahme linker Praktiken inszenieren sie Selbstverteidigungs-Workshops für Frauen als Mittel der Empowerment. Gleichzeitig werden Männer mit Migrantionshintergrund als Gefahr für (weiße) Frauen gesehen. Dabei gibt es genug Statistiken, dass Gewalt gegen Frauen vor allem im persönlichen Umfeld von Frauen zu suchen ist, ganz unabhängig von sozialem Status, Migrationshintergrund, Bildung etc etc. Hier wird Gewalt gegen Frauen rassistisch geframed.
Zweitens werden diese Bürgerwehren als Gegenthese zu empowernden Schutzbündnissen gegen rassistische Übergriffe, wie SOS Racisme es zu tun pflegte inszeniert. Mit der Strategie der Retorsion werden alle Machtverhältnisse negiert und Weiße als die wahren Opfer von Rassismus inszeniert.
Mit kreuzbraven, biederen Bürgerkids in gelben Regenmänteln fehlt auch das abschreckende Bild von Militanz oder Gewaltbereitschaft, obwohl natürlich beides unterschwellig und als Drohung vorhanden ist. Mit der Umkehrung bzw. der Teilübernahmen linker und antirassistischer Narrativer gelingt ihnen so eine geschickte Inszenierung. Diese Strategie- und Diskursverschiebung ist genau das was eine Neue Rechte so gefährlich macht, auch unabhängig ihrer nominellen Grüße. Mit der Kampagne wie dieser wird Akzeptanz für die Benennung von unerwünschten Gruppen einer Gesellschaft geschaffen. Diese wird immer auch als eine Bedrohung dargestellt, weswegen die an der Macht seiende Mehrheitsgesellschaft unbedingt geschützt werden müsse. Praktischerweise kann aktionistisch gleich mit einer trainierten Schutzgruppe daran angeschlossen werden.
(Alle Bilder screenshots von facebook-Seiten diverser Regionalgruppen)
Zur Störaktion der Identitären in Graz
Am 7. Mai hat ein Vortrag und eine Buchvorstellung von Julian und mir zu den Identitären und der Neuen Rechten in Graz veranstaltet vom KSV stattgefunden. Er hat stattgefunden, obwohl die Identitären es verhindern wollten. Kurz vor Beginn haben sie sich gewaltsam Zutritt zum Raum verschafft, obwohl ihnen natürlich klar gemacht wurde, dass sie hier nicht erwünscht sind. In bekannt unsympathischer Burschimacker-Manier gröhlten ca. 12 Identitäre (darunter Patrick Lenart) rum. Auf die selbstverliebte Frage, ob die Anwesenden nicht auch an ihrer „Seite“ interessiert seien, ertönte ein einstimmiges „NEIN“ und höhnisches Gelächter. Verzweifelt versuchten sie weiter den sturen Macho zu markieren, indem sie im Raum blieben. Die Strategie war klar: Raumnahme und Bedrohung aufbauen. Dementsprechend, und weil es laufend Drohungen gegen meine Person gibt, wurde die Polizei eingeschalten. Diese war sehr freundlich und nahm die Sache dementsprechend ernst. Auch der Verfassungsschutz wurde hinzugezogen. Schlussendlich war es möglich, die Identitären aus dem Saal zu befördern bzw. in einen neuen umzuziehen. Der Vortrag fand in solidarischer und guter Stimmung trotz 1 ½ Stunden Verspätung statt. Die Identitären haben also gleich mehrere Ziele verfehlt: Der Vortrag fand statt, niemand hat sich für sie interessiert und eine Diskussion haben sie auch nicht bekommen. Trotzdem ist es bedenklich, dass einen Tag vor dem 8. Mai 2014 Rechtsextreme eine antifaschistische Veranstaltungen stürmen können.
Diese Naziunterschichtsprolos und ihr starker Führer
Eine neue Studie besagt, dass sich 29 Prozent der Österreicher_innen einen „starken“ Führer wünschen. (Auch die restlichen Ergebnisse sind ziemlich widerlich, so am Rande gesagt) Und der Interpretationsansatz ist schnell zur Hand: Die wirtschaftliche Lage verursacht Apathie und deswegen sehnen sich die Leute nach einem Führer. Das ist ein legitimer Interpretationsansatz. Leider wird nur immer verschwiegen, dass autoritäre Einstellungen und Klassenzugehörigkeit keineswegs korrespondieren.
Mit der alleinigen Darstellung dieses Ansatzes nimmt man sich eine ganze Ebene des Rechtsextremismus und projeziert ihn allein auf die Arbeiter_innenklasse. Das ist eine ziemlich erfolgreiche bürgerliche Taktik, mit der sich diese Klasse gleichzeitig reinwäscht und als normativ gut darstellt und die Arbeiter_innen stigmatisieren kann. Dabei ist es gerade ein bürgerlicher Rechtsextremismus, die Neue Rechte, der gerade Hochkojunktur hat. Von Thilo Sarrazin über Akif Pirinçci, von Eva Herrmann über Jürgen Elsässer bis zu Sezession und den Identitären – es sind die, die sich als (selbst ernannte) Elite verstehen, die sich eine Revoluzzergeste geben, aber nur nach unten treten. Und das ist nichts besonders Neues. Auch in der Weimarer Republik haben studierte Intellektuelle die Anleitung zum autoritären Staat verfasst, weit bevor der Nationalsozialismus zur Massenbewegung wurde.Diese „Konservative Revolution“ ist Vorbild für die Neue Rechte (zu denen eben auch die Identitären gehören) von heute. Die Oswald Spenglers und Carl Schmitts dieser Welt geistern noch immer herum und fabulieren vom Untergang durch diese nicht zu rettende dekadente, weiche Gesellschaft, die dringend mehr soldatische Logik braucht und der es wichtig ist, den Feind und das Fremde auszusortieren. Und diese sind wahrscheinlich mittel- und langfristig gefährlicher.
(Nicht nur) Deswegen: Rassistischen Aufmarsch der Identitären verhindern 17. Mai 11 Uhr Marcus Omofuma-Denkmal, Wien.