10 Punkte, die wir dank des rechtsextremen Kongresses in Linz und den Protesten dagegen wissen

  1. Die Vernetzung intensiviert sich

    Es ist auf gruslige Art und Weise zu sehen wie gut mittlerweile die Vernetzung der extremen Rechten läuft. Wie Genauso wie die Identitären ist die außerparlamentarische Rechte, unter Federführung der „Neuen Rechten“, transnational organisiert. Es reicht längst nicht mehr sich die Szene in einem Land anzuschauen. Vor allem ist gut zu beobachten wie stark die österreichische Szene im Vergleich zur Deutschen aufholt. So gab es bis vor wenigen Jahren kaum eine „Neue Rechte“, die sich für den „geistigen Bürgerkrieg“ (G. Kubitschek – Chefideologe der Neuen Rechten) rüstet. Mittlerweile gibt es einige Projekte, die, ähnlich wie in Deutschland, um Blogs und Onlinezeitschriften organisiert sind. Die starke Identitäre Bewegung in Österreich war hier ein wichtiger Impulsgeber.

  2. Linz ist nicht KölnGleichzeitig und parallel zum rechtsextremen Kongress, wollte die verschwörungstheoretische und Putin-lobhudelnde Zeitschrift Compact eine Konferenz in Köln abhalten. Nach antifaschistischen Recherchen wurde der Veranstaltungsort bekannt und die Rechtsextremen aus der Halle geworfen. Schließlich wurde sie ganz abgesagt. In Deutschland ist so etwas immer wieder möglich. Auch die neurechte Messe „zwischentag“ tut sich Jahr um Jahr schwer Räume zu finden.
  3. OÖ Landesregierung gibt Segen

    In Österreich gibt hingegen sogar die Landesregierung ihren Segen und vermietet im Wissen um den Charakter der Veranstaltung an Rechtsextreme und Faschisten. Sogar die Landesflagge von Oberösterreich blieb hängen, was dem Ganzen einen höchst offiziellen Charakter gab.

    Quelle: Twitter-Screenshot

    Quelle: Twitter-Screenshot

     Die Säle wurden vermietet obwohl sich zahlreiche bekannte Personen, inklusive ehemaliger ÖVP-Politiker, dagegen gewandt haben. Sogar der Bundeskanzler hat sich, erstmalig, für die antifaschistischen Gegenproteste ausgesprochen.

    Es ist bemerkenswert wie sich der ÖVP-Landeshauptmann hier von seinem kleineren Koalitionspartner in ein Eckerl drängen hat lassen aus dem er einfach nicht mehr hinauskommt. Es zeigt auch, dass die FPÖ geschickter und gescheiter (aus ihrer Sicht) agiert, als es sich potentielle Koalitionspartner_innen oft denken. Das Entzaubern und „im Zaum halten“ der FPÖ scheitert jedes einzelne Mal. Pühringer hat es gerade am eigenen Leib erfahren. Unabhängig von ideologischen Überlegungen und nur machtpolitisch gesehen – eine Koalition mit der FPÖ nützt nur und ausschließlich der FPÖ.

  1. Die dubiose Rolle der ÖVP

    Überhaupt ist die Rolle der ÖVP bei diesem Kongress höchst dubios. Das Verhalten der ÖVP in Oberösterreich wurde schon beleuchtet. Aber auch die Bundes-ÖVP und die ÖVP Wien haben merkwürdige Positionen zu diesem Kongress. Ein Kandidat für die Gemeinderatswahl 2015 der ÖVP Wien nimmt in einer Redner-Rolle an diesem Kongress teil und die ÖVP Wien geht auf Tauchstation. Alexander Surowiec hat sich mit seinem Medienprojekt direkt neben das offen rechtsextreme „unzensuriert.at“, das tendenziell antisemitische „alles roger“ sowie die Putin-Fanboys  von “Info direkt” eingeordnet. Eine interessante Nachbarschaft und politischer Dunstkreis für einen ÖVPler.

    Quelle:. screenshot HP

    Quelle:. screenshot HP

     Auch, dass die Bundes-ÖVP kein Wort der Verurteilung des Kongresses über die Lippen ist nicht verwunderlich, will man doch höchstwahrscheinlich die beiden Landesorganisationen nicht noch weiter in die Bredouille bringen. Abenteuerlich sind hier aber die sprachlichen Verrenkungen, derer man sich bemüht. So forderte SPÖ-Generalsekretär Niedermühlbichler die ÖVP via Presseaussendung auf dieses Treffen zu verurteilen. Gnädigerweise wird hier nicht einmal die Rolle von ÖVPlern selbst betont, sondern die der FPÖ mit Verweis auf die Bundespräsidentenwahl. Also eigentlich eine durchaus annehmbare Einladung. ÖVP-Generalsekretär Amon antwortete hingegen pampig man habe sich ohnehin schon von Straches „Bürgerkrieg“-Sager distanziert, das müsse reichen.  Das ist keine Distanzierung von dem rechtsextremen Kongress in Linz. Das ist durchaus bemerkenswert.

  1. Laun wurde zurückgepfiffen

    Der bekannte Frauen- und Homosexuellenverachtende katholische Weihbischof Andreas Laun wurde kurzfristig als Starredner für den Kongress angekündigt. Kurz vor seiner Rede musst er absagen, weil es ihm offenbar von seinen Vorgesetzten befohlen wurde. Dies augenscheinlich nur unter Protest und nicht ohne weiter gegen die Proteste zu hetzen und die Veranstaltung zu loben. Das zeigt auch, dass die Berührungsängste zwischen rechtskatholischen und faschistischen Kreisen sinken. Diese Zusammenarbeit sehen wir zunehmend in ganz Europa, vor allem wenn es gegen Frauenrechte geht. Religiöse Adels- und Militärnetzwerke, wie wir es auch schon bei der AfD gesehen haben, bieten große Ressourcen für aktionistisch orientierte rechtsextreme Kreise. Die Zusammenarbeit haben wir von Frankreich (Manif pour tous) über Deutschland (Terror gegen Forscher_innen, die sich mit progressivem Sexualkundeunterricht beschäftigen) bis Polen (Bekannt progressive Czarny Proteste gegen Abtreibungsverbot). Das betrifft nicht nur die katholische Kirche, sondern evangelikale Kreise, orthodoxe Kirchen und auch rechte islamische Strömungen, die sich teilweise den rechtsextremen Protesten anschlossen.

  1. Servus TV – waren sie nun drinnen oder nicht?

    Eine Selbstdemontage bot der Red Bull-Sender „Servus TV“. So verkündete der Twitter-Account der Rechtsextremen, dass „Servus TV“ eingeladen ist sich die Veranstaltung von innen anzusehen. Dies ist laut Eigenangaben nur in einer Kooperation möglich. Wie diese Kooperation aussieht wurde auch aufgelistet – nur ausgewählte Medien, die nicht kritisch berichten, erhalten die. Dies trifft naturgemäß nur auf rechtsextreme Medien zu.

    Quelle: Screenshot Twitter

    Quelle: Screenshot Twitter

    Es wäre also eine Blamage für „Servus TV“, wenn das stimmt, während sogar die “Krone” aus den Räumlichkeiten komplimentiert wird, deren Redakteur sich zuvor eine normale Besucherkarte besorgte 

    Servus TV“ war also sehr bemüht unter die zahlreichen Tweets, die auf diese Kooperation hinwiesen, zu reagieren und klar zu stellen, dass es keine Kooperation gibt.  Vielfach wurde gefragt, ob das bedeutet, dass „Servus TV“, wie alle anderen seriösen Medien, nicht in den Sälen war. Vielfach blieb diese Frage unbeantwortet.

     

    Quelle: Screenshot Twitter

    Quelle: Screenshot Twitter


    Wenn sich herausstellt,, dass „Servus TV“ nun doch drinnen war, dann kommt das einer Selbstdemontage gleich und „Servus TV“ läuft in der selben Kategorie wie „unzensuriert.at“ und „info direkt“. Nicht vergessen: Dieser Sender wird von einer global sehr erfolgreichen Marke (Red Bull) finanziert. Dies hätte auch Auswirkungen auf den Fußball, wenn hochgejazzte und durchgestylte Kunstvereine wie jene in Salzburg und Leipzig sich plötzlich mit der Tatsache konfrontiert sähen, dass ihr Mäzen offen mit Rechtsextremen und Faschisten zusammenarbeitet. Zumal dies nur der letzte große Schubser in der Talfahrt wäre, nachdem Rechtsextremen schon unkritisch eine Bühne geboten wurde und eines der größten Zugpferde im Red Bull-Stall, der Stratosphären-Springer Baumgartner, sich offen mit den Identitären solidarisierte . Es wird spannend zu sehen sein, wie und ob hier das durchkoordinierte Happy-Lifestyle-Image der Marke Red Bull verteidigt wird oder nicht. Eine großatig recherchierte Gesamtschau findet sich hier. 

  2. Die FPÖ ist offen wie nie

         Es ist nichts Neues – die FPÖ hofiert Rechtsextreme. Wissen wir alles. Wir sind da auch schon recht abgestumpft. Sie ist nur mittlerweile so besoffen von ihrer eigenen Selbstsicherheit, dass sie es sich erlaubt den Wahlkampfleiter mitten während einer entscheidenden Phase ganz offen auf einen rechtsextremen und faschistischen Kongress zu schicken. Einfach so. Unglaublich eigentlich. Das wirklich bemerkenswerte ist, dass die Sprache und die Inhalte des Wahlkampfleiters sich überhaupt nicht von den sonstigen Beiträgen unterschieden. Er hat sich mit seiner Rede, im Gegenteil, gut und passend eingefügt.

  1. Immer wieder Polizeieskalation

Es ist fast schon Folklore – bei jeder antifaschistischen Mobilisierung der letzten Jahre gab es eine Eskalationstaktik der Polizei. Wir erinnern uns – es ist kaum ein halbes Jahr als es völlig jenseitige Pfefferspray-Orgien am Wiener Gürtel gab, die mittlerweile auch von einem Gericht als rechtswidrig befunden wurde. Vor wenigen Tagen wurde auch ein bizarrer Fall vor Gericht verhandelt, wo sogar der Richter unwahre Aussagen bei Polizist_innen vermutete.

Heute gab es zwei Bussdurchsuchungen von vermummten und mit Gewehr bewaffneten Polizist_innen in einem abgelegenen Waldstück. Sogar ein Polizeihubschrauber kreiste über den Bussen.  Kollektive und verdachtslose Kontrollen von Bussen sind im Übrigen rechtswidrig, das wurde schon per Gericht festgestellt. Während der Demonstration in Linz wurde dann ein Block in der Demo gekesselt – und das, „dank“ weiter Sperrgebiete, sehr weit weg vom Veranstaltungsort. Warum immer und immer und immer wieder so ein Verhalten? Hat das Innenministerium den Polizeiapparat noch im Griff oder machen hier einzelne Einsatzleiter was sie wollen?

  1. Große antifaschistische Proteste gibt es auch außerhalb Wiens

Es ist absolut beeindruckend was sich in den letzten Jahren in Sachen antifaschistischer Proteste getan hat in den Bundesländern. Egal, ob Graz, Innsbruck oder Linz – große und breite antifaschistische sind möglich und erfolgreich. „Linz gegen Rechts“ hat gezeigt wie so etwas möglich ist. 3.500 Leute waren heute in Linz auf der Straße. Hut ab und weiter so!

  1. Antifaschismus wirkt und wirkt und wirkt

Zu guter letzt sei noch einmal in Erinnerung gerufen, dass wir über all dies nicht reden würden, würden nicht Antifaschist_innen in ihrer Freizeit Zusammenhänge recherchieren, Demonstrationen organisieren, Busse bestellen und ziemlich viel Koordinierungsarbeit leisten. „Daneben“ gibt es noch inhaltliche Texte, Medienarbeit und die politische Suche nach Verbündeten. Und dann stehen sie auch noch an einem Herbstsamstag in Linz auf der Straße statt auszuschlafen, schwimmen zu gehen oder ihre Freizeit anderweitig zu genießen. Danke, Antifaschist_innen, ihr zeigt Mal um Mal, dass Demokratie nichts Gegebenes ist, sondern, dass man Rechtsextremen die Stirn bieten muss.

ogr

Herr Dr. Sarrazin und der dumme Mob von Heidenau

Wer das gesamte Forum Alpbach besuchen möchte muss schlanke 1.200€ dafür hinblättern. Hinzukommen Anreise, Unterkunft und Verpflegung. Einzelne Gesprächsreihen gibt es schon zu günstigen 700€. Für zusätzliche Kurse, etwa zu europäischer Integration, sind noch einmal 1.200€ drauf zu legen. Das ist in etwa ein Dreiviertel-Monatseinkommen einer Durchschnittsverdienerin von Sachsen. Der Hartz-IV-Regelbedarf liegt bei 399€, davon sind ganze 1,52€ für Bildung vorgesehen. Bestimmt gibt es irgendwelche wohlmeinenden Menschen, Stiftungen, Charity-Organisationen, die einem glücklichen Hartz-IV-Empfänger die Teilnahme finanzieren würden, wenn man nur laut genug schreit. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass Alpbach dezidiert ein sehr exlusives Treffen ist. Alles was Rang und Namen hat, trifft sich und plaudert im beschaulichen Alpbach. Die zukünftige Elite darf auch dabei sein und wird über Stipendien und Ermäßigungen mitgenommen. Dass in diesen Ermäßigungen Studierende erwähnt werden, Arbeitslose jedoch nicht, ist ein klares (wahrscheinlich nicht einmal bewusst gesetztes) Zeichen, wer zur Zielgruppe gehört und wer nicht. Soviel zu den Rahmenbedingungen.

Natürlich werden aller Ortens Zeichen gesetzt, Schweigeminuten abgehalten und Konzepte dafür ausgearbeitet, was man denn für Flüchtlinge tun kann. Ein zentraler Ort ist Heidenau in Sachsen. Dort haben Antirassist_innen und Antifaschist_innen alle Hände voll zu tun, das Schlimmste zu verhindern. Polizei und CDU warnen unterschiedslos vor Links- und Rechtsextremismus in völliger Verkennung der Realität. Die Realität ist, dass in Orten wie Heidenau Pogrome wie in den 90ern drohen. Pogrome, die Tote zur Folge hatten. Pogrome wie in Rostock-Lichtenhagen, die unterschiedslos von organisierten Neonazis und Teilen der lokalen Bevölkerung begangen, bejohlt und beklatscht wurden. Medial gibt es aber interessanterweise eine große Welle der Unterstützung für die Refugees. Natürlich erst Tage und Wochen nach linken und antirassistischen Initiativen, aber man möchte ja nicht Haare spalten in diesen Tagen. Nachrichtenmoderatorinnen sagen klipp und klar, dass Rassismus nicht geduldet wird, Comedians werden ganz ernst, berühmte Schauspieler legen sich mit rassistischen Hetzern an und überall werden Spenden gesammelt. Gut so. Mit einem kleinen Schönheitsfehler. Rassismus wird als Charakterfehler einer ungebildeten, dummen Schicht, die nichts kann und nichts weiß, gesehen. Rassismus als Merkmal eines schmutzigen, tiergleichen Mobs, der sich nicht unter Kontrolle hat und bloß aus Instinkten anstatt nach klaren Gedanken handelt. Eklig, mit sowas will man natürlich nichts zu tun haben. Mit denen reden wir nicht. Da bejohlen wir jeden grammatikalisch falschen Satz. Solche Trottel. Typisch Ostdeutschland. Typisch Dummköpfe.

Am Forum Alpbach wird heute Dr. Thilo Sarrazin zu Gast sein. Kontrovers, keine Frage. Er wird über „Sackgasse Europa? Asyl- und Flüchtlingspolitik auf dem Prüfstand“ am Podium reden. Es ist eine geplante Provokation. Natürlich lässt man auch den Protest am Forum zu. Natürlich dürfen auch Vertreter_innen des Zentrums für politische Schönheit ihren Widerspruch zu Sarrazin kund tun. Denn das gehört wie Sarrazin dazu. Es ist ein Spiel, ein Abwägen, ein Austarieren. Auf der einen Seite Protest gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik vieler Regierungen, auf der anderen Seite jemand, der seinen Rassismus in wichtige Worte verpackt. Immerhin, er hat viele Zahlen in seinem Buch. Und überhaupt, was der schon alles geleistet hat – dem muss man zumindest zuhören. Er kann ja auch korrekte deutsche Sätze formulieren. Käme es nicht Zensur gleich, diese kontroversen Meinungen auszusparen? Was Dr. Sarrazin mehr qualifiziert über Asylpolitik zu sprechen, als eine x-beliebige Anwohnerin aus Heidenau wird leider nicht erläutert. Warum muss der Rassismus eines kapitalreichen Mannes gehört werden? Der einzige Unterschied zwischen Sarrazin und dem „Pack“ in Heidenau ist, dass Ersterer die Codes kennt, die für das Fortkommen in bürgerlichen Schichten angemessen sind. Das macht ihn aber eigentlich gefährlicher, denn er macht Rassismus akzeptabel. Keine großen Massen finden die Pogromstimmung in Heidenau wirklich in Ordnung. Mit Sarrazins feingeschliffener Vorarbeit kann aber auch das Forum Alpbach leben. Rassismus beginnt nicht bei brennenden Unterkünften. Er beginnt weit davor. Er beginnt sehr viel bequemer. Er beginnt dort, wo Sarrazin ein legitimer, kontroverser Gesprächspartner ist. Alle, die das befördern, sind genauso Schuld, wie jene, die Heidenau verharmlosen. Dennoch: Gegen die doofen Nazis in Heidenau zu sein, aber bei Sarrazin Speichel lecken geht sich nicht aus. Das hat nichts mit Antirassismus zu tun. Das ist einzig und allein bürgerliche Befindlichkeit.

 

Screenshot Seite Forum Alpbach

Screenshot Seite Forum Alpbach

Von modernen Kreuzrittern

Dass der „Extremismus“ im Wörtchen „Rechtsextremismus“ nichts mehr als eine liebgewordene Phrase ist, hat dieses Mal Christian Ortner bewiesen. Sein Artikel „Was hat der Islam mit dem Islam zu tun?“ beweist wieder einmal, dass ideologisch zwischen die anerkannte, staatstragende Elite und dem bösen Rechtsextremismus kein Blatt Papier passt.

Kurbeln wir doch ein paar Tage zurück. Am Sonntag stellen sich die Identitären vor den Stephansdom in der Wiener Innenstadt und spielen ISIS. Offenbar müssen sie in Ermangelung von tatsächlichen ISIS-Kundgebungen in Wien selbst zur Verkleidung greifen. In Camouflage-Outfit und Burkas stellen sie mit Spielzeugwaffen die Hinrichtung von zwei Menschen nach. Über ihnen prangt die Fahne der Jabhat al-Nusra, also der Al Quaida und nicht der ISIS. Stimmige Details scheinen die aufgeregten Jungrechten nicht zu stören, wenn es um die Inszenierung geht. Denn die Message, die nebenbei via Megaphon und Flyer rausgetönt wird ist klar: Einwanderung, ISIS, Islam, Muslime, Migrant_innen, deutsche Sprache, Terror – all das hängt irgendwie kausal zusammen. Details, das wissen wir mittlerweile, stören da nur. Wichtig ist es, den Konnex im Kopf der Menschen irgendwie herzustellen und durch lautes, hysterisches Wiederholen scheint das zu gelingen. Da braucht es auch keine stimmigen Analysen.
geistigerkriegidis
Screenshot, verschönert

Dieses Vorgehen ist nichts anderes als angewandter Rassismus: Es wird ein diffuses „Anderes“ konstruiert, das per se böse und gewalttätig ist. Dieses „Andere“ ist der „Islam“. Wie praktisch, dass dieses „Andere“ möglichst weit weg von den Urheber_innen der rassistischen Aussagen ist. So wird nicht nur „das Andere“ abgwertet, sondern auch das „Eigene“ erhöht. Ohne auch nur irgendetwas (nicht) getan zu haben, sehen sich Rassist_innen as wertvoller, besser, schöner, toller an als irgendeine willkürliche Person, die muslimischen Glaubens ist. Das ist Rassismus. Es ist tatsächlich so einfach. Das hat nichts damit zu tun, Religionen als Herrschaftsverhältnisse zu kritisieren, im Gegenteil, dieser Fakt wird durch quasi-biologistische Einschreibungen negiert.

Das wirklich Lustige an der Sache ist, dass die Identitären ja überhaupt kein Problem mit religiöser Gewalt haben, solange sie nur christlich ist. Laut rufen sie „Reconquista“ und bejubeln die Kreuzritter. Eine ihrer Lieblingsbands ist „Von Thronstahl“, die sich in einer Mischung aus Neofolk, Martial-Industrial und Military-Pop schwülstig nach einer Zeit sehnt, als Christ_innen noch fleißig alle Anderen umgebracht haben und es so ein neumodisches Zeug wie Demokratie nicht gab. Nehmen wir „Ganz in Weiß und ganz in Eisen“ von „Von Thronstahl“ her.  Der Text geht so:

Zwischen gestern-spät und heute-früh steh ich im Niemandsland
Schlage Wurzeln, treibe Früchte, Zeit ist nicht mehr relevant
Stehe hier in Gottes Gnaden und die Welt perlt an mir ab
Und ein angeborenes „Vorwärts“ hält den Herzschlag mir auf Trab

Ganz in Weiß und ganz in Eisen ziehen wir durch Feindesland
Beugen uns vor keinem Götzen, brechen jeden Widerstand

Schenk uns heute deinen Segen, sieh wir kommen dir entgegen
Ganz in Weiß und ganz in Eisen
Ganz in Eisen und ganz in Weiß

Friedensengel, zähnefletschend, steigt aus dem Meer empor
Dieser Frieden ist verletzend, Welt im Taumel sieh dich vor!
Maskenbildner, Pazifisten, Herr der Fliegen, Utopie
Lämmer an den Futtertrögen erringen keinen Sieg

Steht das Schlachtvieh in den Ställen, kalter Angstschweiß, keine Glut
Marschieren Friedenstruppen, knöcheltief durch Schweineblut
Zwischen Sodom und Gomorrha, Menschenopfer, freie Wahl
Licht der Welt, strahl uns entgegen, leuchte uns durchs Finstertal

Ganz in Weiß und ganz in Eisen ziehen wir durch Feindesland
Beugen uns vor keinem Götzen, brechen jeden Widerstand

Schenk uns heute deinen Segen, sieh wir kommen dir entgegen

Ganz in Weiß und ganz in Eisen
Ganz in Eisen und ganz in Weiß

Freiheitskrampf und Volksverblödung, Kinderporno, Sodomie
Menschheitsabstieg unter Tage, Höhlenmensch, modernes Vieh
Bindungslose Menschenmasse, blindlings hinters Licht geführt
Keine Klasse, keine Rasse, zu einem Brei mutiert
Ganz in Weiß und ganz in Eisen blicke ich ins Weltenall
Ordnung ist der Welt verheißen, Heimkehr nach dem Sündenfall

Zwischen gestern-spät und heute-früh steh ich im Niemandsland
Schlage Wurzeln, treibe Früchte, Zeit ist nicht mehr relevant
Ganz in Weiß und ganz in Eisen ziehen wir durch Feindesland
Beugen uns vor keinem Götzen, brechen jeden Widerstand

Schenk uns heute deinen Segen, sieh wir kommen dir entgegen

Ganz in Weiß und ganz in Eisen
Ganz in Eisen und ganz in Weiß

Schenk uns heute deinen Segen, sieh wir kommen dir entgegen

Ganz in Weiß und ganz in Eisen
Ganz in Eisen und ganz in Weiß

Mit ein paar ausgetauschten Wörter (weiß zu schwarz z.B.) wäre das auch ein schönes Lied für die ISIS-Kämpfer. Der Unterschied ist relativ marginal. Die ISIS sind wie Kreuzfahrer, nur dass Letztere noch mit der katholischen Kirche die bessere PR-Maschinerie hatten. Und wenn jemand meint, dass sei immerhin so 1000 Jahre her, dann bleibt die Frage, warum dann noch immer rechtsextreme Gruppen an einem Sonntag in Wien demonstrieren durften, die die Kreuzzüge für eine gute Idee halten. Warum gibt es noch immer irgendwelche Orden mit lächerlichen Namen, die die Kreuzzüge beschwören und warum sind Politiker und hohe Beamte Mitglieder dieser Orden zum heiligen Leintuch oder wie auch immer? Warum gibt es eine katholisch-fundamentalistische Szene, die alle Errungenschaften der Moderne zunichte machen will und warum wird diese Szene von öffentlichen Stellen massiv gefördert?

Wir brauchen gar keine 1000 Jahre zurückgehen – vor 100 Jahren begann der 1. Weltkrieg. Und alle Seiten schwangen sich zu Gottes auserwähltem Volk auf, um dem Sterben der Soldaten irgendeinen Pseudosinn zu geben. Denn sonst wäre man gar schnell draufgekommen, dass das ganze Unterfangen wirklich keine besonders glorreiche Idee war.

deutschergott britschergott dschihadgott franzgott
Aus der Ausstellung „Jubel&Elend“ über den 1. Weltkrieg auf der Schallaburg

Genau in die selbe Kerbe wie der Kreuzfahrerfanclub der Identitären schlägt Christian Ortner. Nur, dass Christian Ortner natürlich ein hochwohlgeb… geschätztes Mitglied der anständigen, wichtigen und hochseriösen bürgerlichen was-mit-Medien-Gesellschaft ist. Deswegen muss er nicht mit Burka und Al-Qaida-Fahne am Stephansplatz stehen, um seine Meinung kundzutun, sondern darf diese in der Presse publizieren. Er fragt sich, wer denn diese jungen Muslime ausgrenzt, offenbar mit der unterschwelligen Annahme, dass diese nicht ausgegrenzt werden oder diese das auf irgendeine seltsame Art selbst tun würden. Dabei wäre die Antwort so einfach: Leute wie Ortner. Mit Artikeln, wie sie Ortner schreibt. Aber das sieht Ortner sarkastisch selbst und schwadroniert irgendetwas von Leitkultur. Was ist denn diese Leitkultur, Herr Ortner? Wie schaut diese aus? Artig bitte und danke sagen und Sonntag in die Kirche gehen? Oder eher doch Rechtsextreme im Parlamentt sitzen haben, Kellernazis in Kellern sitzen haben und Linke mit absurden Prozessen einsperren? Ist das die Leitkultur der Herren Ortner?

Wirklich grindig wird es, wenn Ortner in einer Verquickung aus Sexismus, Rassismus und Klassismus (tolle Kombi!) pseudo-aber-nicht-wirklich-feministische „Argumente“ ins Treffen führt. Etwa dass Linke meinen würden, Frauen müssten sich vergewaltigen lassen, damit kein Terror passiere. Es sei ihm gesagt, dass sexuelle Gewalt kein Thema ist mit dem er politisches Kleingeld schlagen kann. Nachweislich geschehen Vergewaltigungen vor allem im familären Umfeld. Nachweislich werden mindestens ein Drittel aller Frauen Opfer sexueller Übergriffe in ihrem Leben und da ist weder die Dunkelziffer noch der grausliche Alltagssexismus eingerechnet. Und nachweislich können Männer aller Nationalitäten, Hautfarben, Religionen und was auch immer grindige, übergriffige Arschlöcher sein. Gerade das Thema sexuelle Gewalt wegschieben zu wollen auf „das Andere“ ist gleichzeitig rassistisch und sexistisch, denn es negiert die Realitäten der meisten Frauen, die betroffen sind. Diese werden oft vom eigenen Partner, auf Dates, von männlichen Familienmitgliedern, auf Partys usw. vergewaltigt. Täter und Betroffene sind einander in den meisten Fällen bekannt. Aber das passt nicht in die schöne, biedere Welt des hochseriösen Bürgertums, wo soetwas nicht vorkommt. Das machen nur „die Anderen“. Wir, die Gesellschaft, die den wagemutigen Kämpfer für Frauenrechte Andreas Gabalier herausgebracht hat, wir sind aufgeklärt und Frauen geht es nur bei uns gut. Außer sie wollen irgendetwas. Sowas wie Rechte. Oder Schutz vor Gewalt. Oder Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Dann sind sie Frauenschlampemanzenschreckschrauben. Aber das dürfen nur wir sagen, weil wir so aufgeklärt sind.

Ein anderes Faktum für Herrn Ortner: Das Zitat von Leon de Winter, das er in seinem Artikel verwendet „Nach dem linken Faschismus der Sowjets, nach dem rechten Faschismus der Nazis ist der Islamismus der Faschismus des 21. Jahrhunderts“ ist nicht nur inhaltlich falsch und dumm, sondern wurde auch zur Rechtfertigung für die Folter von Häftlingen in Guantanamo gesagt.

Diese Leitkultur des Herren Ortner ist nichts Anderes als eine Kriegserklärung an alle, die nicht so sind wie Herr Ortner. Eine Kriegserklärung der hochwohlgeschätzten Besserverdiener_innen und identitären Zentralorgane gegen Linke, Migrant_innen, Arme und jene, die nicht die Netzwerke haben, um ihre hochwohlgeschätze Meinung in der Presse kundzutun. Oder in dem üblen rassistische Hetzblog „Politically Incorrect“, der den Artikel übernommen hat.
piortner Screenshot pinews

Ob mit oder ohne Einverständnis ist unklar. Er passt aber ganz gut zwischen German Defense League und den Identitären rein.

Ihnen sei gesagt:


(Danke S. für den Videotipp)

(Danke S. Nummer 2 für diesen Videotipp)

kängurulinksrechts

Für euch ist das ein Spiel

Selten hatte ich so ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit, Abscheu und Unverständnis wie gestern, als ich im deutschsprachigen Fernsehen und parallel auf Twitter die Ergebnisse zur EU-Wahl vernommen habe. Es ist leicht besserwisserisch und defätistisch, jeden Erfolg zu nivellieren, das ist nicht meine Intention. Aber dieses Abfeiern von Nichtigkeiten, die Hilflosigkeit (im besten Fall), wie rechtsextremen Parteien begegnet wird und das Draufhauen auf jede linke Regung, erzeugen neben Desillusionierung (ein gewohntes, altes Gefühl) vor allem Loslösung. Eine seltsame Distanziertheit hat sich eingeschlichen zwischen denen, die Politik „machen“, den Pros, den Könner_innen, denen die 24h für ein Mandat laufen oder anderen dazu verhelfen und mir. Manchmal ist es so, als würde sich das alles durch eine Milchglasscheibe abspielen. Als wäre das ein seltsam schrilles, verzerrtes Schauspiel. Als würde es nach einer Logik funktionieren, die mir nicht begreiflich ist. Wie 50er Jahre Heimatfilme. Da ist alles zu dick aufgetragen, zu behäbig und die Probleme sind zu belanglos. Genauso kommt es mir vor, wenn über Vorzugsstimmen für x oder y diskutiert wird. Als ginge es darum, wer die Kirschen aus dem Pfarrgarten gestohlen hat. Am Ende löst sich alles in Wohlgefallen auf und das Dorf feiert ein Fest.Ich möchte gerne so laut ich kann schreien: ES IST KEIN SPIEL. Niemand interessiert sich für eure Belanglosigkeiten. In Europa marschiert der Rechtsextremismus auf und ihr tut so als wäre nichts. Es ist so furchtbar, das mitanzuschauen und gleichzeitig in die leeren Gesichter der etablierten Parteien zu schauen, die so tun, als passiere das in einer anderen Welt, in einem anderen Europa. Es ist viel zu spät für’s Ignorieren. Das ist an sich keine besonders kluge Strategie, aber jetzt im Moment ist sie auch gefährlich. Die Reaktion macht mich sprachlos. Sprachlosigkeit ist aber falsch. Wir müssen Worte finden. Denn das, was in Europa gestern passiert ist, ändert Vieles. In Österreich haben wir uns öffentlich schon an viel gewöhnt. Rechtsextreme tanzen in der Hofburg, Alltagsrassismus feiert fröhliche Urständ und Antisemitismus wird von gewählten Vertereter_innen ganz offen propagiert.Und was sind die Diskussionsstränge? Etwa, dass „unsere“ Rechtsextremen nicht so schlimm sind wie die der Anderen. Unsere Rechtsextremen sind ja nur „Populisten“, während die in Frankreich so richtige Rechtsextreme sind. Allein die Diskussion verlangt nach einem weiteren Glas Whiskey, straight ohne Eis bitte. Dann sei all den lustigliberalen Medienmenschen gesagt, dass der Front National an der FPÖ nur mehr mit viel Naserümpfen und der Kneifzange anstreift. Nicht die Parteien, mit der die FPÖ zusammen arbeitet, sollte in Österreich das Problem sein, sondern die FPÖ selbst. Keine andere Partei mit offen rechtsextremen Kontakten ist über einen längeren Zeitraum so erfolgreich in Europa wie die FPÖ. Und das gelingt nur durch das komplette Versagen der politischen wie kulturellen Eliten. Ihr habt versagt. Ihr habt deswegen versagt, weil es euch in eurer scheißironischen Gute-Laune-Haltung einfach egal ist. Weil ihr bedröppelt drein schaut, wenn die FPÖ wieder dazu gewinnt, aber im Grunde eures Herzens betrifft es euch auch nicht. Weil Nazis nicht euch verprügeln. Weil ihr nicht von dieser Wand an Alltagsrassismus betroffen seid, aus der es kein Entrinnen gibt. Weil ihr keine Zukunftsängste habt. Weil ihr einfach so flockig weiter lebt, während es vielen einfach nur schlecht geht. Eure Privilegien sind die Armut von Anderen.Die Fraternisierung mit Rechtsextremen geht aber noch weiter. Fast sämtliche deutschsprachige Medien hat der Erfolg von SYRIZA mehr betroffen als das Abschneiden von FPÖ, Front National, AfD, NPD, UKIP, Jobbik, dänische Volkspartei und ähnliche. Ich dachte ich bin schon in einer protofaschistischen Parallelwelt, als der ARD-Moderator die Ergebnisse aus Griechenland verkündete. Mit Betroffenheitsmiene und Grabesstimme verkündete er: “Ein Wahlsieg der linksextremen SYRIZA ist zu befürchten.” Nach einer dramatischen Pause wurden die Ergebnisse verkündet.Unabhängig davon, ob die Positionen von SYRIZA nicht noch vor ein paar Jahren nicht einfach als grundsolide sozialdemokratisch zu bezeichnen gewesen wären, ist das offen antilinke Hetze. Ein antikommunistischer Grundkonsens ist immer auch Grundpfeiler jedes (halb)faschistischen Systems gewesen. Aber das nur am Rande. Wer SYRIZA mehr fürchtet als die anderen genannten Parteien, ist ein_e Handlanger_in des Rechtsextremismus. Es gibt keine neutrale Position, keine Mitte zwischen jenen, die gegen Diskriminerung kämpfen und jenen, die Diskriminierung ausüben. Das Zurückziehen auf die Extremismustheorie ist feige und denkfaul. Die Extremismustheorie im neuen Gewand heißt nun „pro-europäisch“ und „anti-europäisch“. Als ob eine Position zur EU das selbe wie eine Position zu Europa wäre. Und selbst wenn dem so wäre, ist es völlig beliebig, wie diese Einordnung funktionieren soll. Warum ist eine Position pro-Troika und pro-Frontex pro-euopäisch? Warum sollte ich in diesem Europa leben wollen? Oder können? Warum sollte jemand, der gerade aus der Krankenversicherung rausgefallen und seinen Job veloren hat das Dank Troika als pro-europäische Errungenschaft verstehen? Diese Einteilung ist arrogant und abgehoben. Niemand geht zur Wahl und führt vorher einen isolierten, philosophischen Diskurs über Europa mit sich selbst. Leute wählen, weil sie ihre Umgebung wahrnehmen. Leute wählen, weil sie glauben, für ihre Rechte zu kämpfen oder Privilegien absichern wollen. Jemand, der in Athen SYRIZA wählt, weil er nichts mehr zu Essen hat, ist kein Kämpfer gegen euer achsotolles Europa. Auch bei den rechtsextremen Parteien ist nicht ihre anti-Eu-Haltung das beunruhigendste Charakteristikum. Ihr fühlt euch vielleicht davon angegriffen, aber warum fühlt ihr euch nicht von ihrem Rassismus, Antifeminismus, Antisemitismus, ihrem Hass auf arme Leute genauso angegriffen? Warum werden die Parteien nicht in pro- und anti-Frontex eingeteilt? Ist das nicht entscheidender? Nein. Das sagt alles.

Über die lächerlichen Denunziationsversuche, indem bei SYRIZA in Klammern fein säuberlich „linksextrem“ dazugeschrieben wird, möchte ich noch ein paar Worte verlieren. Es zeigt, wie peinlich der Extremismusbegriff ist. Nicht dass SYRIZA sich schämen müsste als radikale Linke bezeichnet zu werden, aber im deutschsprachigen Fernsehen wird das, aus der eigenen Logik heraus verständlich, abwertend gemeint. Bei AfD, NPD, FPÖ und Co steht kein entsprechender Verweis. Die Angst vor Linken ist größer als die vor Rechtsextremen. Das passiert alles in Europa im Jahr 2014. Diese Mischung aus Angst, Hoffnungslosigkeit, Desillusionierung, aber auch Wut und der Erkenntnis, sich nicht auf etablierte Institutionen verlassen zu können, wird eine treue Begleiterin werden in den nächsten Jahren. Das ist kein Spiel.

Identitäre Bürgerwehren in Frankreich

Während die Identitären in Österreich ein überschaubarer Haufen sind haben die Identitären in Frankreich eine durchaus beachtenswerte Größe erreicht. Immerhin sind sie kampagnenfähig. Aktuell versammelt sich die Génération identitaire hinter dem Slogan „Génération Anti- Racaille“. Racaille steht für „Pack“ und „Abschaum“ und wurde durch den damaligen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy öffentlichkeitswirksam gegen die Protestierenden der Pariser Banlieues verwendet.

Das Wort dient also klar zu einer Aussonderung von unliebsamen Elementen einer Gesellschaft. Für die Génération Identitaire sind das neben linken Aufrührer_innen vor allem Migrant_innen. Racaille wird also, wie schon bei Sarkozy, klar rassistisch verwendet. Es dient als Label für Alle, die nicht dazu gehören, für die die „anders“ sind. Dazu gibt es allerlei Aktionismus. Beachtenswert ist dabei, dass sie eine Art identitäre Bürgerwehren gründen, um sich und die guten Elemente der Gesellschaft gegen Raceilles zu verteidigen.

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Mit gelben Jäckchen mit Lambda-Symbol ziehen die sich hilfsbereit und nett gebenden Aktivist_innen durch die U-Bahnen von Paris und Lyon und patrouillieren. Selbstinszenierend wird das fotografiert und online gestellt. Die Botschaft dahinter ist klar: Wir treten als Pulk auf, wie wissen uns zu verteidigen, das ist unser Territorium. Was als Selbstschutz daher kommt ist nichts anderes als eine Drohung gegen Linke und Migrant_innen (oder wer als eines von beiden empfunden wird)
Dabei geht die Génération Identitaire ganz geschickt vor. In der Teilübernahme linker Praktiken inszenieren sie Selbstverteidigungs-Workshops für Frauen als Mittel der Empowerment. Gleichzeitig werden Männer mit Migrantionshintergrund als Gefahr für (weiße) Frauen gesehen. Dabei gibt es genug Statistiken, dass Gewalt gegen Frauen vor allem im persönlichen Umfeld von Frauen zu suchen ist, ganz unabhängig von sozialem Status, Migrationshintergrund, Bildung etc etc. Hier wird Gewalt gegen Frauen rassistisch geframed.

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Zweitens werden diese Bürgerwehren als Gegenthese zu empowernden Schutzbündnissen gegen rassistische Übergriffe, wie SOS Racisme es zu tun pflegte inszeniert. Mit der Strategie der Retorsion werden alle Machtverhältnisse negiert und Weiße als die wahren Opfer von Rassismus inszeniert.

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Mit kreuzbraven, biederen Bürgerkids in gelben Regenmänteln fehlt auch das abschreckende Bild von Militanz oder Gewaltbereitschaft, obwohl natürlich beides unterschwellig und als Drohung vorhanden ist. Mit der Umkehrung bzw. der Teilübernahmen linker und antirassistischer Narrativer gelingt ihnen so eine geschickte Inszenierung. Diese Strategie- und Diskursverschiebung ist genau das was eine Neue Rechte so gefährlich macht, auch unabhängig ihrer nominellen Grüße. Mit der Kampagne wie dieser wird Akzeptanz für die Benennung von unerwünschten Gruppen einer Gesellschaft geschaffen. Diese wird immer auch als eine Bedrohung dargestellt, weswegen die an der Macht seiende Mehrheitsgesellschaft unbedingt geschützt werden müsse. Praktischerweise kann aktionistisch gleich mit einer trainierten Schutzgruppe daran angeschlossen werden.

(Alle Bilder screenshots von facebook-Seiten diverser Regionalgruppen)

Rechte Vernetzungen zur Europawahl – Wenn die NPD einlädt…

UPDATE: Ort wurde geändert/konkretisiert

In vier Tagen am 22.März gibt es in Kirchheim/Thüringen ein Gipfeltreffen, das sich gewaschen hat. Die Jugendorganisation der NPD, die Jungen Nationaldemokraten (JN), laden unter dem revoluzzerischen Titel „Aktion Widerstand“ zum Kongress rechtsextremer (Jugend)Organisationen. Und die Gästeliste kann sich sehen lassen: Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte; Griechenland), Blocco Studentesco (Italien), Identitäre Bewegung Deutschland (unklar – Erklärung weiter unten), Nordisk Ungdom (Schweden), NSV! (Flandern), Danskernes Parti (Dänemark), Europäische Aktion, Dělnická mládež / DM (Tschechei), Svenskarnas parti (Partei der Schweden), PNOS (Partei National Orientierter Schweizer) sowie Nick Griffin von der British National Party und die NPD-Granden Olaf Rose und Udo Voigt.

Aus mehren Gründen ist dieses Treffen spannend.

Zum einen natürlich aufgrund der teilnehmenden Organisationen bzw. die Namensgebung:

Aktion Widerstand – dabei handelte es sich um eine nach einjährigem Bestehen aufgelöste rechtsextreme Organisation, die vor allem durch gewalttätiges Auftreten bei Demonstrationen und Veranstaltungen auffiel.

Chrysi Avgi – über die Goldene Morgenröte ist schon viel berichtet worden. Etwa, dass Mitglieder mutmaßlich am Mord an Pavlos Fyssas beteiligt waren. Oder das traditionell faschistische Auftreten bei Demonstrationen und die Hetze gegen Migrant_innen (nicht nur in Worten) Mittlerweile droht der Partei sogar das Verbot in Griechenland.

Blocco Studentesco – der Blocco ist die Schüler_innen- und Studierendenabteilung von CasaPound. CasaPound ist ein neofaschistisches Projekt, das seinen Erfolg daraus schöpft, dass es seit Anfang der 2000er linke Protestformen übernimmt und für faschistische Zirkel nutzbar macht. Mehrere besetzte Häuser in Rom bilden die Basis von CasaPound, die mittlerweile auch bei Lokalwahlen antreten. Der Blocco selbst konnte sich unter Schüler_innen eine gewisse Basis erkämpfen und erreichte bei den Wahlen 2009 28% der Stimmen. Während das Symbol von CasaPound die Tortuga (die Schildkröte) ist, so verwendet der Blocco den Mosley-Blitz, entnommen von der British Union of Fascists, die von Oswald Mosley gegründet wurde. CasaPound wirbt gerne mit „weder links noch rechts, sondern CasaPound“ und gibt sich als Kümmerer-Bewegung mit eigenen Unterorganisationen für Katastrophenhilfe oder Umweltschutz. Trotzdem (oder gerade) deswegen pflegen sie einen viel offeneren Umgang mit neonazistischen Gruppen als z.B. die deutschsprachige Neue Rechte (die es zumindest ein wenig zu kaschieren versucht). Erst im Herbst gab es ein Vernetzungstreffen von CasaPound und der Goldenen Morgenröte in Rom.

Identitäre Bewegung – die Identitären als rechtsextreme Spaßbewegung mit der corporate identity gibt es seitdem in Potiers im Herbst 2012 kurzfristig eine Moschee besetzt wurde und das Lambda-Symbol auf einem Banner entrollt wurde. In Deutschland und Österreich fallen sie vor allem im Internet oder mit pseudolustigen Aktionen auf. Die Identitäre Bewegung Deutschland verlautbarte am 28. Februar 2014 auf Facebook, dass sie an diesem Kongress der JN nicht teilnehmen werde, da sich hier eine Szene treffe, „deren Ideologie sie nicht teilen“. Die Veranstalter_innen selbst beharren aber auch auf Nachfrage darauf, dass Vertreter_innen der Identitären anwesend sein werden. Denn auch wenn hier eine brüske Zurückweisung erfolgte, so gibt es durchaus Überschneidungen zwischen Neonazi-Szene und den Identitären, wie in diesem Buch aufgeschlüsselt (kaufen!).

Nordisk Ungdom – Die NU ist ähnlich veranlagt wie CasaPound oder die Identitären: Aktion vor Theorie und viel Popkultur. Sie vertreten einen völkischen panskandinavischen Anspruch und bewegen sich im Umfeld der Schwedendemokraten. Im Gegensatz zu den Anderen (außer Identitäre und NSV) treten sie nicht als Wahlpartei an.

NSV! (Flandern) – Auch die Nationalistische Studentenvereniging kommt aus der Clique rund um die Identitären, sie pflegen besonders enge Kontakte zur französischen Ursprungsorganisation Génération Identitaire. Daneben haben sie aber auch enge Kontakte zu den Jungen Nationalen, was ihnen eine Mittlerrolle im Jugendbereich des europäischen Rechtsextremismus zukommen lässt. Der NSV bewegt sich zudem im Umfeld des Vlaams Belang. Außerdem pflegt er enge Verbindungen zu den deutschnationalen Burschenschaften in Österreich und Deutschland.

Danskernes Parti (Dänemark) – Die DP steht vor allem durch ihren Obmann Daniel Carlsen im Blickpunkt der dänischen Öffentlichkeit. Dieser war bis 2011 Mitglied der „Nationalsozialistischen Bewegung“. Er hat auch eine recht klare Position zum Holocaust, nämlich, dass es keine organisierte und systematische Vernichtung von Juden und Jüdinnen gegeben hätte und Hitler ein großer Mann gewesen sei. Anderslautende Meldungen sei gemeine Propaganda von Kommunist_innen, Amerikaner_innen und Demokrat_innen. Der Herr besteht übrigens darauf, kein Nazi zu sein…

Dělnická mládež / DM (Tschechien) – Die „Arbeiterjugend“ ist die Jugendorganisation der Arbeiterpartei der Sozialen Gerechtigkeit (DSSS), die schon länger enge Kontakte zur NPD pflegt. In der Frage der Benes-Gesetze werden sie nicht mehr zueinander finden, aber sonst bemühen sie sich um eine gemeinsame Geschichtsschreibung. Die DSSS als Nachfolgepartei der Dlnická Strana (die verboten wurde) knüpft direkt an deren Hass auf Roma und Sinti an. Immer wieder kommt es, speziell im strukturschwachen Nordböhmen, zu pogromähnlichen Angriffen. Die DSSS ist immer wieder dabei.

Svenskarnas parti (Partei der Schweden/SvP) – die Partei der Schweden ist eine neonazistische Partei, die die Nachfolgeorganisation der Nationalsocialistisk front darstellt. Mit ihrem Einzug in das Stadtparlament von Gästrop erhielt zum ersten Mal nach 1945 in Schweden eine offen rechtsextreme Partei einen Sitz in einem Parlament. Mitglieder der SvP waren (ziemlich) wahrscheinlich am Überfall auf Showan und andere Antifaschist_innen in Malmö am 8. März 2014 beteiligt. Showan wurde mit einem Lungendurchstich ins Krankenhaus gebracht und schwebte kurzfristig in Lebensgefahr. Mittlerweile geht es ihm wieder besser. Dieser Überfall hatte die größte antifaschistische Demonstration Schwedens zur Folge, am 16. März gingen über 10.000 Menschen in Malmö auf die Straße. Die SvP soll davor auch gute Kontakte in die Ukraine gepflegt haben und sich sogar auf Unterstützungsreise nach Kiew zum Rechten Sektor begangen haben.

Der Rechte Sektor (Ukraine) – Der Rechte Sektor bildet(e) den paramilitärischen Arm der Faschisten während des „Euromaidan“. Mit der Swoboda-Partei auf machtpolitischer Ebene und dem Sektor auf der Straße konnten gleich zwei rechtsextreme Blöcke während des Euromaidans (unterstützt von der EU) reüssieren. Der Rechte Sektor beruft sich (wie die Swoboda) auf die Kollaborateur_innen mit der Wehrmacht und feiert den Einmarsch der Wehrmacht in die Ukraine als „Befreiung“. Vertreter_innen des Sektors wären gerne gekommen, erhielten aber (unklarerweise) keine Ausreisegenehmigung. Es wird anscheinend eine Videokonferenz mit Leipzig geben.

PNOS (Partei National Orientierter Schweizer) – die Partei hat nur sehr begrenzt regionalen Einfluss und nicht besonders viele Mitglieder, selbst nach Eigenangaben. Das Programm ist bekannt: Migrant_innenfeindlich, rassistisch und mit einer völkischen Komponente versehen. Im Kanton Bern wurde sie allerdings 2011 ins Regionalparlament gewählt und ihre sieben Kandidaten erhielten über 20.000 Stimmen.

Nick Griffin – Auch die BNP und Griffin lassen sich nicht lumpen, wenn es um Grauslichkeiten geht. Die Vorstellung, dass sechs Millionen Juden und Jüdinnen bei der Shoah ermordet wurden, ist für ihn genauso plausibel, wie dass die Erde flach sei. Er pflegt Kontakt zu Holocaustleugnern und Revisionisten. Im Gegensatz zu den Anderen ist die BNP dort, wo die anderen Parteien und Organisationen wohl noch hin wollen und auch kommen werden: Sie hat einen Sitz im EU-Parlament.

Die Schmuddelkinder-Allianz

Während woanders die FPÖ, der Front National, die Schwedendemokraten, der Vlaams Belang und andere an einer rechten Saubermänner_Sauberfrauen-Allianz basteln, ist diese Konferenz in Kirchheim der erste sichtbare Versuch einer lagerinternen Gegenallianz. Bemerkenswert ist, dass zwei Organisationen dabei sind, die eigentlich aus dem Umfeld der anderen Allianz kommen (Vlaams Belang und Schwedendemokraten). Besonders der Front National fürchtet, dass ein zu inniges Verhältnis zu offen rechtsextremen Organisationen den ersten Platz bei den Wahlen zum EU-Parlament im Mai gefährden. Deswegen lehnten sie die Zusammenarbeit mit einigen Organisationen ab. Andere, wie die FPÖ, akzeptiert man aufgrund ihrer Größe und ihrer Funktion als Vernetzerin. Das soll nicht bedeuten, dass der Front National nicht rechtsextrem wäre. Die Strategie der Allianz, die sich da bildet, ist aber sich möglichst staatstragend zu geben und dabei trotzdem Protestalternative zu sein. Aber auf keinen Fall auf eine Art und Weise, die Leute verschrecken könnte.

Die Schmuddelkinder rund um die NPD dürfen in diesem erlauchten Kreis nicht mitmachen. Also haben sie wohl ein Gegenprojekt gegründet, dass ganz anders daher kommt. Mit Revolutions-Gepose, faschistischer Ästhetik und militantem Auftreten. Nach dem Motto: Wenn es eh schon egal ist, dann können wir auch offen zu all unseren Freund_innen stehen. Und dann kommt so eine illustre Ansammlung der europäischen Rechten zusammen, wie es bis jetzt selten der Fall war. Es gibt noch viele Unklarheiten in der Szene. Um einige Parteien und in welcher Allianz sie zu verorten sein werden, wird wohl noch intern gerungen. (Etwa die Jobbik) Aber dass sich die Szene nach Zeiten der Konfusion wieder auf zumindest zwei Projekte geeinigt hat, sollte doch zu denken geben. Besonders weil, wie selbstverständlich, außerparlamentarische, parlamentarische und paramilitärische Gruppen einträchtig nebeneinander stehen.

UPDATE: Es gibt einen Aufruf zu antifaschistischen Gegenmobilisierungen.