Die ÖVP und die deutschen Opfer

Überall so viele Ausländer und so viele deutsche Opfer. Und außerdem gibt es in den Innenstädten (?!) von London und Paris No-Go-Areas für Weiße. Und überhaupt sind die Linken und die Ausländer an allem Schuld. Was sich viele ÖVPler_innen nur auf CV-Buden oder im tiefen Untergrund geheimer konservativer Zusammenrottungen denken durften, hat der rechtsextreme Antaios-Verlag dankenswerterweise in ein Buch gegossen. Es trägt den klingenden Namen Deutsche Opfer, fremde Täter und die Autoren sind Michael Paulwitz, Schritfleiter der Burschenschaftlichen Blätter (ja, die DIE Burschenschaften), und der Wunderwuzzi der Neuen Rechten Götz Kubitschek, dem praktischerweise der Verlag auch gleich gehört. Die Leier ist bekannt: Wegen der gemeinen linkslinkenZensurInquisitionEmanzenGutmenschendings darf man nicht mehr offen rassistisch sein, was ein kaum wieder gut zu machender Anschlag auf die Meinungsfreiheit ist, die bitteschön nur für weiße, konservative Männer gelten soll.

Es ist in Momenten wie diesen, wo die ÖVP ihr tiefstes Inneres nach Außen kehren kann in der Hoffnung, dass es niemand bemerkt. Anders ist nicht zu erklären, wie just dieses Buch eines winzigen, rechtsextremen Verlags auf der Seite der Politischen Akademie der ÖVP belobhudelt wird. Inhaltlich ist diese Rezension so unfreiwillig komisch-jenseitig, dass sie eigentlich ob der rassistischen Dreistigkeit ignoriert werden sollte.

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Die Akademie preist sich als think tank und intellektuelle Avantgarde und hinterfragt nicht ein einziges einmal das Buch, das sie da in den Händen hält. Dabei ist es dermaßen plump, dass es sogar von der FPÖ kommen könnte. Der Übergang von einem konservativen Spektrum zu einem rechtsextremen ist nur ein gedachter, es existiert keine scharfe Trennlinie, wie der Verfassungsschutz das gerne sehen würde. Die so genannte Neue Rechte versucht sich um Vermittlung zwischen etablierten konservativen Institutionen und Personen mit einem militanteren rechtsextremen Spektrum. In den letzten Jahren konnte sich eine neue Generation rund um die Zeitschrift Sezession, die  (erraten!) von Götz Kubitschek herausgegeben wird (der leitet auch noch das Institut für Staatspolitik, die Neue Rechte funktioniert eher personalarm), etablieren. Es ist eher unwahrscheinlich, dass man zufällig auf den Antaios-Verlag stößt oder zufällig ein Buch mit diesem reißerischen Titel kauft und für die Politische Akademie der ÖVP rezensiert. Es zeigt, dass die Politische Akademie der ÖVP absolut kein Problem mit dem Inhalt, den Autoren oder dem Verlag hat.

Das zeigt sich auch, wenn man sich das Buch „Konservative Korrekturen“, das von zwei hohen Mitarbeitern der Politischen Akademie der ÖVP mit herausgegeben wurde, anschaut.

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Unter Pressestimmen wird einfach mal so die Sezession angegeben. Die Sezession ist die zweimonatlich erscheinende Theoriezeitschrift der Neuen Rechten und wird eben von besagtem Herrn Kubitschek herausgegeben. Dort wird sich auch gerne positiv auf CasaPound und diverse rechtsextreme Projekte bezogen. Es auch hier eher unwahrscheinlich, dass man zufällig auf diese Zeitung, die es nicht im Zeitschriftenhandel gibt, stößt und sie ungeschaut zur Bewerbung des eigenen Buches verwendet. Zumal der Kommentar missverstanden worden sein könnte. Nichts grundsätzlich am Kurs ändern zu wollen ist nur in der Welt der ÖVP ein Lob. Dass das Zentralorgan der Neuen Rechten, die Junge Freiheit, auch nicht fehlen darf, ist dann wohl Ehrensache.

Nicht nur die FPÖ bewirbt rechtsextreme Bücher, Autoren, Zeitungen und Verlage – die ÖVP kann das offenbar schon lange.

Rechtsextreme Festspiele in Österreich

Nach dem Credo „Faschismus – das sind die Anderen“ wird nur groß (wenn überhaupt) über rechtsextreme Treffen berichtet, wenn sie nicht in Österreich stattfinden. Dabei gibt es eine ganze Palette an Treffen allein im November, die interessant für die rechtsextreme Szene sind und durchaus eine nähere Betrachtung verdienen bzw. verdient hätten. Österreich ist nämlich zur Insel der Seeligen für die rechtsextreme Szene geworden, da sie auf relativ wenig Gegenwehr, vor allem von institutioneller Seite, stoßen.

1. 10. November – die Identitären in Aktion

Am 10. November konnten die
Identitären bei hellichtem Tage eine Aktion vor der Europäischen Agentur für Grundrechte durchführen. In bewährter Untertanen-Manier hetzten sie gegen Refugees und sorgten sich um den Untergang des Abendlandes. Dabei verzichteten sie weder auf holprige popkulturelle Anspielungen, die nicht im Sinne des Erfinders sind, noch auf Sprüche, die von den Faschisten von CasaPound („Europa, Jugend, Reconquista“) übernommen wurden. Das Datum ist nicht zufällig gewählt, der Tag nach der Pogromnacht. Martin Semlitsch (aka Martin Lichtmesz) hat den Begleittext in der neurechten Zeitschrift Sezession geliefert. (inklusiver bemühter Jugendlichkeit mit dem Verweis auf Großstadtgeflüster) Besagter Herr Semlitsch gehört zum engsten Kreis des Sezession-Gründers Götz Kubitschek, der auch dem rechtsextremen Institut für Staatspolitik vorsteht und eine führende Person der neurechten Szene in Europa ist. Am 10. November versammelten sich also ca. 30 Personen in bekannt schwarz-gelbem Einheitslook und hetzten gegen Refugees, weil der Chef der EU-Grundrechtsagentur vor Rechtsextremismus gewarnt und Österreich als Einwanderungsland bezeichnet hatte. Das ist allerdings schon am 20.10. geschehen. Ein Schelm wer also denkt, dass es so lange Vorbereitungszeit gebraucht hatte, um ein paar mickrige Schildchen zu basteln. Es wurde sehr bewusst auf den 10. November gewartet, um in bekannter Täter-Opfer-Verdrehung zu agieren und die Gefahr von rechts herunterzuspielen.

Screenshot: Prahlerei der Identitären auf Facebook

Screenshot: Prahlerei der Identitären auf Facebook

2. 14. November – Treffen der rechtsextremen Parteien in Wien

Warum treffen sich erst die Orbans, Samarase und Merkels in Wien beim Gruselkabinetts-Treffen der Europäischen Volkspartei (wo der Dollfuß-Fanclub aka ÖVP auch Mitglied ist) und nun die Watschengesichter a la Strache, Le Pen und Wilders in Wien? Genau, weil es nur richtig wenige Leute juckt. Alle anderen Parteien sind auf den Mund gefallen und auch sonst herrscht mehr eine laisez faire Stimmung gegenüber ein paar der grindigsten Rassist_innen, die Europa so zu bieten hat (und da ist die Konkurrenz wirklich groß). Beraten wird darüber, wie es nach der EU-Wahl, bei der der Front National in Frankreich gute Chancen hat, stärkste Partei zu werden, weiter gehen soll. Ein weiteres europäisches Projekt der nationalen Kleingeister wird angestrebt. Diesmal so wirklich wirklich. Die letzten Male hat man sich ziemlich bald zerstritten und die anderen rechtsextremen Parteien wollten mit der FPÖ unter Führung des Obergrindpatzn Andreas Mölzer nix zu tun haben, weil die so offen rechtsextrem sind.

3. 22. November – Götz Kubitschek in Wien bei den Identitären

Eingangs wurde Herr Kubitschek schon kurz angerissen. Er hat vor 10 Jahren die neue Generation der Neuen Rechten in Deutschland mit der Gründung der Zeitschrift Sezession begründet. Dort durfte schon alles schreiben, was in der rechtsextremen Szene als prominent gilt. Vardon, Iannone, de Benoist, Menzel – you name it. (Nur Frauen nicht, wenn sie nicht mit dem Begründer verheiratet sind. Intern wird anscheinend noch diskutiert, ob Frauen überhaupt in der Lage sind, einen Bleistift zu halten oder wieviel mann sich jetzt wirklich vor ihnen fürchten muss) Der Typ tourt durch die Lande und stößt einige wenig charmante Projekte an, was z.B. am angeschlossenen Verlag ersichtlich ist, wo die Obersympathler der Konservativen Revolution neuaufgelegt werden. Erwähnenswert auch das Vernetzungstreffen Zwischentag in Berlin, wo nicht einmal mehr ein Lorbeerblättchen verdeckt, wie tief drinnen die „nicht rechts, nicht links“-Bli-Bla-Blu identitären Häschens in der rechtsextremen Szene stecken. Neben den strammen Schmissfressen der Deutschen Burschenschaft und der peinlich elitären Gildenschaft (Kubitschek ist Gildenschafter), dürfen dort auch die Verschwörungstheoretiker des Ares-Verlag oder die Widerlinge des Eckharts rumkrebsen. Auch die FPÖ war mit unzensuriert vor Ort. Nun kommt dieser rechtsextreme Promi am 22. November nach Wien in das Haus der Österreichischen Landsmannschaften in die Fuhrmanngasse. Politiker_innen jeglichen Coleurs sind sich, so nebenbei bemerkt, nicht zu blöd, regelmäßig zu den Landsmannschaften zu pilgern und selig von Mähren oder Böhmen zu träumen.

4. 23. November – WKR-Kongress in Wien

Im letzten Jahr ist der Kongress ganz schön mickrig ausgefallen und wurde in der Chronologie eher unter „Peinlichkeit“ abgelegt. Parallel fand nämlich ein außerordentlicher Burschentag in Stuttgart statt, weil viele deutsche Verbindungen plötzlich nur noch wenig Lust hatten, sich von der Wiener Teutonia vertreten zu lassen, die den Vorsitz im Dachverband Deutsche Burschenschaft übernommen hatte. Sympathischerweise forderte diese samt ihren Gesinnungsgenossen der Danubia München, der Raczeks Bonn und den anderen WKR-Burschis das, was in Österreich schon immer Realität war: den Arierparagraphen für Burschenschaften. Stein des Anstoßes war ein Bursche einer eher „liberaleren“ Verbindung, der nach Meinung der Rassenkundler-Clique nicht arisch genug aussah. Der WKR (Wiener Korporations Ring) gehört selbst unter den Ekelpaketen der Deutschen Burschenschaft nochmal zum aller grauslichsten, rechtsextremen Bodensatz, den dieser zu bieten hat. Die vergangenen Jahre durfte dieses Event im Rathauskeller stattfinden, ohne dass sich jemand der Verantwortlichen daran gestört hätte.

5. 29. – 30. November – Verbandstagung der Deutschen Burschenschaft in Innsbruck

Recht kurzfristig wurde die Tagung nach Innsbruck verlegt, wohl in der Hoffnung auf nicht soviel Gegenwehr zu stoßen wie in Deutschland. Das Bündnis Innsbruck gegen Faschismus organisiert für den 30.11. eine Demo. Bei dem Treffen wird es wohl auch eine starke inhaltliche Komponente geben. Es dürfte kein Zufallen sein, dass recht zeitnah davor Herr Kubitschek in Wien ist, am nächsten Tag der WKR-Kongress stattfindet und nur eine Woche später die Verbandstagung der DB. Ein Referent dürfte sich also gefunden haben.

6. 07. Dezember – Frei.Wild in Wien

Jedes Jahr der selbe Schmus mit Frei.Wild. Eigentlich ist ja alles gesagt, aber die Verantwortlichen des Gasometers interessiert das herzlich wenig. In bewährter Stammtisch-Pogromstimmungsmanier wird sogar beim Ankündigungstext fleißig Stimmung gemacht gegen die gemeinen Leute, die gegen sie sind. Nationalismus und Blut-und-Boden-Ideologie wird freimütig als „widerspenstig“ verharmlost. Was haben wir alle gelacht.

7. 24. Jänner – WKR-Ball in Wien

Auch hier jedes Jahr die selbe Leier. Groß ließ sich die Hofburg feiern, indem sie den Schmissfressen das Feiern in der Hofburg verboten hatte. Davon ist nichts geblieben. Auch dieses Jahr werden sie wieder feiern. Auch dieses Jahr ist es das wichtigste Event zur Vernetzung der rechtsextremen Elite Europas. Letztes Jahr haben die Stargäste etwas ausgelassen, wohl weil Dank der entschlossenen linken Demos nicht mehr alles so glatt ging, wie sie glaubten. Es reicht eben nicht, irgendwo nett herumzustehen und Musik zu hören – Rechtsextremismus gehört aktiv blockiert und auch das wird es beim nächsten Ball wieder geben. Hier die News verfolgen: Offensive gegen Rechts

8. 01. Februar – Akademikerball in Graz

Auch Graz lässt sich nicht lumpen und auch dort dürfen die Burschis feiern ohne dass es die Stadt oder das Land groß stören würde. Auch hier wird es Proteste geben und auch hier lassen wir sie nicht ungestört feiern.

9. 08. Februar – Burschenbundball in Linz

In Linz wird gefeiert, als wäre 1945 nie passiert. Da gibt der Landeshauptmann den deutschnationalen Burschenschaften mit Arierparagraph Geleitschutz und drei Banken sponsern das Event. Das sind die Raiffeisen Oberösterreich, die Sparkasse Oberösterreich und die Hypo Oberösterreich. Nur falls sich jemand fragt, wo das Geld des Bankenrettungspakets eigentlich hinfließt – genau, direkt zu den Rechtsextremen. Auch hier wird es wieder Gegenproteste geben.

Frank und die neu(en) rechten Werte

Dass das Team Stronach ein Problem mit Rechtsextremen in den eigenen Reihen hat ist nicht neu. Die Recherche West hat schon im Dezember darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Tirol viele rechte Opportunisten, Burschenschafter und andere Rechte beim Team Stronach wiedergefunden haben.

Robert Lugar im Interview mit compact

Neu ist allerdings, dass das bis ganz nach oben, in dem äußerst hierarchisch agierenden Team Stronach geht. Klubobmann und Quasi-Parteichef Robert Lugar hat im Februar dem Compact-Magazin für Souveränität ein Interview gegeben. Das Interview selbst ist wenig spektakulär (ein Ausschnitt ist auf der Seite des Chefredakteurs nachzulesen. Achtung, Link auf rechtsextreme Seite). Compact sieht sich selbst als Magazin, das „rechte und linke Positionen vertritt“. Weder links noch rechts zu sein, behaupten bekanntermaßen nur Rechte von sich und ist eine bekannte Strategie (siehe: Kommunikationsstrategien der Neuen Rechten). Auch wenn einige Autor_innen ursprünglich aus einem linken Spektrum kommen, so liefern sie heute Lesestoff für alle, die ihre rechtsextreme Ideologie nicht mit dumpfen rassistischen Parolen präsentiert bekommen möchten, sondern vermeintlich kritisch und intellektuell. Beliebtestes Feindbild ist aber ganz klassisch Israel. Da werden allerlei krude Verschwörungstheorien präsentiert und von der Neuen Weltordnung phantasiert. Beate Zschäpe wird zum „Engel“, der einer bösen Verschwörung der deutschen Justiz zum Opfer gefallen ist und und sie wird in einem offenen Brief aufgefordert, „alles aufzudecken bevor es zu spät ist“. Entlarvend auch die alljährliche Compact-Konferenz für Souveränität. Mit Peter Scholl-Latour, Eva Hermann und Thilo Sarrazin kommt da zusammen, was zusammen gehört. Diskutiert wird über „Familienfeindlichkeit“, „Geburtenrückgang“ und das „Sterben der Völker“, alles klassisch rechtsextreme Narrative. Geladen sind auch Vertreter der extrem homophoben russisch-orthodoxen Kirche und Mitglieder der russischen Duma. Auch die Autor_innen der Ausgaben sind klar verortet, etwa Ansgar Lange, ehemaliger Chefredakteur des neurechten Theorieorgans Criticón , der auch schon für Politically Incorrect (was bizarr ist, wenn man die ausgesprochene Israelfreundlichkeit von PI dem Antisemitismus von Compact entgegenstellt) und eigentümlich.frei geschrieben hat oder André Lichtschlag, der sich im Umfeld von Götz Kubitschek und der Sezession tummelt. Der Chefredakteur von Compact ist Jürgen Elsässer, der sich auch einmal in der Linken herumgetrieben hat. Er hat sich über seine Verengung der Kapitalismuskritik auf eine Kritik des Finanzkapitals und dem damit verbundenen Antisemitismus zu klar rechtsextremen Positionen entwickelt. Compact ist die logische Manifestation dessen. Damit steht das Magazin in einem Netzwerk neurechter Organisationen, Blogs und Zeitschriften, die eben nicht mit Haudrauf-Parolen glänzen, sondern kritisch, zugänglich und intellektuell daherkommen wollen. Mit einer großen Bekanntheit oder einer rasenden Auflage können Lugar und das Team Stronach hier auch nicht argumentieren, handelt es sich dabei doch eher um ein „Sektenorgan“, wie ruhrbarone attestieren.

Thomas Bachmeier ist bei Veranstaltung von Compact

Thomas Bachmeier ist Mitglied des Expertenrates von Frank Stronach und Kandidat zum Nationalrat in Vorarlberg für das Team Stronach, wie die APA am 13. August berichtete. Er ist auch Ökonom und dubioser Goldstandardtheorieexperte. Somit Experte einer Theorie, die anschlussfähig für rechtsextreme Ideologie und von der FPÖ heftig propagiert wird. Dass der Expertenrat an sich recht schräg ausgefallen ist, darauf weist Andreas Kemper hin.  Bachmeier hat es sich nicht nehmen lassen, als Gast bei einer Veranstaltung von Compact aufzutreten (Achtung Link auf rechtsextreme Seite). Moderiert wurde der Spaß von Ken Jebsen. Jebsen, der immer wieder durch Antisemitismus auffällt und deswegen vom rbb gefeuert wurde.

Es zeigt sich, dass das Team Stronach gar kein Problem damit hat, bis auf die höchste Ebene mit einem rechtsextremen Magazin zusammenzuarbeiten, das antisemitische Weltverschwörungsthesen und Ethnopluralismus propagiert und dabei rassistisch, sexistisch und tief homophob auftritt.

Das ÖVP-Wahlprogramm mit drei Ausschlägen nach ganz rechts

Analyse des ÖVP-Parteiprogramms aus antifaschistischer Perspektive

Die Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat sowie die Vorsitzführung im Europarat (2013/14) und im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (2014) sind für uns eine Chance, um eigene Themenschwerpunkte zu setzen. Der Schutz der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit und der Rechte von Kindern sind fester Bestandteil der österreichischen Menschenrechtspolitik. Der Dialog der Religionen und Kulturen und der Schutz religiöser Minderheiten, insbesondere der Christen, sind uns als christlichsozialer Partei ein wichtiges Anliegen. Die ÖVP bleibt auch ein traditioneller und verlässlicher Partner für Heimatvertriebene.

(ÖVP-Wahlprogramm Seite 69)

Heimatvertriebene im Gegensatz zu Flüchtlingen

Mit dem Narrativ der „Heimatvertriebenen“ wird versucht, in rassistischer und revanchistischer Manier kontextlos die deutsche Bevölkerung in Tschechien vor 1945 als die wahren Opfer des Zweiten Weltkriegs darzustellen. Ohne Ursache und Wirkung wird so getan, als sei die Rote Armee ’45 quasi aus dem Nichts gekommen und hätte die „brave“ deutsche Zivilbevölkerung vertrieben. Das passt gut in die Entmenschlichung der Roten Armee, die sofort nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. Während die amerikanische, britische und mit Abstrichen französische Armee als „Befreier“ (wenn überhaupt) wahrgenommen wurde, wurde die Rote Armee zu tiergleichen „Untermenschen“ gemacht. Dass dieses Bild noch immer nicht überwunden ist und eine unhinterfragte Wahrheit im kollektiven Gedächtnis der Deutschen (Österreicher_innen sowieso) bildet, zeigt etwa der Film „Der Untergang“. Dort wird der netten, sympathischen Hitler-Sekretärin und vielen „guten“ Nazis die schmutzige, tiergleiche Rote Armee entgegen gesetzt. Im Narrativ der „Heimatvertriebenen“ ist das ganz ähnlich: die „edlen“, „guten“ Deutschen wurden brutal und aus dem Nichts von diesen schmutzigen, unzivilisierten Barbaren aus „ihrem“ Heimatland vertrieben. Kein Wort über die Verbrechen der Wehrmacht und der SS in der Sowjetunion. (Auslöschen ganzer Dörfer, Vergewaltigungen, Folter, Massaker) Kein Wort darüber, wer diesen Krieg begonnen hat. Kein Wort über die wahren Opfer dieses Krieges. Kein Wort darüber, dass ca. 14 Millionen Sowjetsoldat_innen im Kampf gegen den Nationalsozialismus gefallen sind. (Und nein, die Sowjetführung ist nicht zimperlich mit den eigenen Soldat_innen umgegangen)

Unmittelbar nach ’45 wurden also diese „Heimatvertriebenen“ zum Symbol dafür, dass die Deutschen doch irgendwie Opfer gewesen sind. Und sie wurden zu einem großen Machtfaktor vor allem in der deutschen Politik. Die Ostgrenzen wurden von der BRD nie anerkannt, in der Hoffnung in revanchistischer Manier doch irgendwie die Ostgebiete zurück zu bekommen. Die Oder-Neiße-Grenze wurde erst 1990 (!) offiziell anerkannt. Konrad Adenauer bemühte sich redlich, diese zahlenmäßig nicht unwesentliche Bevölkerungsgruppe als Wähler_innen zu gewinnen und legte den Grundstein für die Macht, die die Vertriebenenverbände bis heute in der CDU/CSU haben. Erst kürzlich wurde um viel Geld ein „Vertriebenen“-Zentrum in Berlin eröffnet. Hier zeigt sich auch, dass nicht nur irgendwelche obskuren rechtsextremen Gruppen mit Grenzverschiebungen und dem Nachtrauern nach vergangener „Größe“ kein Problem haben, sondern, dass dies ein Thema ist, welches Rechtsextreme und Bürgerliche einträchtig zusammen bringt.

So ist es kein Wunder, dass die „Heimatvertriebenen“ eines der großen Themen einer intellektuellen Rechten sind, die 1995 in einer spektakulären Aktion an die Öffentlichkeit ging. In der FAZ wurde pünktlich zum 8. Mai ein Appell veröffentlicht, der Schluss machen wollte mit der „einseitigen“ Deklarierung von Opfern und Tätern im Zweiten Weltkrieg. Dieser klar aus dem rechtsextremen Milieu kommende Angriff wurde von vielen Bürgerlichen dankbar aufgenommen und bis heute geistert die Nachkriegsopferthese umher. Auch in Österreich passt kein Blatt Papier zwischen Rechtsextreme und Bürgerliche, wenn es um „Heimatvertriebene“ geht. Die Thematik wurde nicht so groß diskutiert wie in Deutschland und hängt sich weitgehend an der „Beneš-Dekrete“ auf. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt werken die Landsmannschaften, die in offen revanchistischer und großdeutscher Manier Anspruch auf die Gebiete erheben. Die Publikation „Der Eckhart“ (früher Eckhartsbote) hat sich zu einem der wichtigsten rechtsextremen Medien im deutschsprachigen Raum gemausert. Dass die FPÖ hier keinerlei Berührungspunkte hat, ist wenig verwunderlich. Aber auch die ÖVP hat engen Kontakt zu den Landsmannschaften und subventioniert diese wo es geht. Das Bizarre ist, dass die „Heimatvertriebenen“ (von denen kaum noch einer am Leben ist) so verhätschelt werden, während richtige Flüchtlinge mit aller Härte bekämpft werden. Nicht zuletzt der Umgang mit den Refugees aus dem Servitenkloster zeigt die unglaubliche Heuchelei. Auch im Wahlprogramm werden Flüchtlinge vor allem mit Sicherheitsproblemen in Verbindung gebracht. Dazu wird in „guter“ law-and-order-Manier „Recht muss Recht bleiben“ proklamiert. Hier liegt der wahre Rassismus. „Gute“, deutsche Flüchtlinge werden auch noch in 100 Jahren verhätschelt, „böse“, „ausländische“ Flüchtlinge werden bestraft und unter Generalverdacht gestellt.

Christenverfolgung

In eine ähnliche Kerbe schlägt die „Christenverfolgung“. Eine Majorität in Österreich eignet sich den Opferstatus einer (christlichen) Minderheit in einem anderen Land an. Ein (fiktiver) Religionskrieg „gutes“ Christentum gegen „böser“ Islam wird dadurch befeuert. Dies wird weder kontextualisiert noch differenziert. So passt es auch in diese Logik, dass (christliche) Verfolgte zwar in einem anderen Land klar die Opfer, aber Verfolgte, die nach Österreich kommen, trotzdem die „Bösen“ sind. Ihnen wird eine Art Bündnis zu denen unterstellt, die irgendwo anders auf der Welt Christ_innen verfolgen. Das ist natürlich eine durch und durch rassistische Denkweise. So wird das Leid anderer gerne mit dem Leid von Flüchtlingen in Österreich aufgewogen und letzteren damit gesagt, sie hätten kein Anrecht auf ihr eigenes Leid. Es wird so getan, als seien Christ_innen die am meisten verfolgte Gruppe überhaupt und dementsprechend wird recht einseitig allein darauf aufmerksam gemacht. Bei Charity-Veranstaltungen fließen viele Gelder an NGOs, die sich einzig und allein mit diesem Thema beschäftigen. Flüchtlinge anderer Religionen oder die aus anderen Gründen verfolgt werden, gelten in dieser Logik nicht, wie der Umgang mit diesen beweist. (In Österreich aber z.B. auch die Weigerung solcher NGOs, Schwangerschaftsabbrüche nicht einmal nach Vergewaltigungen zuzulassen) Die ÖVP hat am 30. April gar eine ganze, hochkarätig besetzte Tagung samt Gottesdienst zum Thema „Christenverfolgung“ veranstaltet.

Das Thema ist kein alleiniges Thema (im Gegensatz zum Heimatvertriebenen-Narrativ) von rechtsextremer und rechtskonservativer Seite. NGOs, die sich für alle Flüchtlinge einsetzen, aber auch liberale Kirchen (ja, so etwas gibt es hie und da) setzen sich mit dem Thema auseinander und sollen auf gar keinen Fall in einen Topf mit Rechtsextremen geworfen werden. Der Unterschied liegt im „wie“. Wenn das Thema wie oben beschrieben angelegt ist, dann ist das ein ideales Brückenthema zwischen etablierten bürgerlichen und rechtsextremen Gruppen. Damit verbunden sind oft blanker Rassismus und ein Abwerten anderer Flüchtlinge und NGOs, die für diese arbeiten. Die Aufnahme der „Christenverfolgung“ bei Menschenrechten und die Verbindungen der „restlichen“ Flüchtlingspolitik mit grauslichem Rechtspositivismus und Sicherheitsfragen ist ein klares Schielen nach rechts. Das ist nicht verwunderlich, da viele ÖVP-Umfeld-Organisationen tief in diesen Kreisen verwurzelt sind. Der Cartellverband (CV) ist ein starker Faktor in einem streng rechtskonservativen bis antidemokratischen Milieu, wo Menschenrechte nur für Christ_innen gelten und Dollfuß und Franco Helden sind.

Extrem.Is.Mus(s)

Österreich ist sehr erfolgreich, was den Kampf gegen Terrorismus und extremistische Straftaten betrifft. Nicht zuletzt deshalb sind wir bisher großteils davon verschont geblieben. Wir werden auch weiterhin gegenüber Hasspredigern, ideologisch motivierten Extremisten und all jenen, die unsere Demokratie in Frage stellen, mit Null Toleranz vorgehen. Jede offene Gesellschaft braucht wirksame Instrumente, um sich gegen ihre Feinde zu verteidigen.

(ÖVP-Wahlprogramm Seite 72)

Nach Österreich kommt jedes Thema ca. fünf Jahre später. So versucht die ÖVP auch die leidige Extremismus-Debatte nach Österreich zu bringen. Eigentlich ist längst alles gesagt. Wer von einem Linksextremismus=Rechtsextremismus-Kugel-Kreis-Hufeisen-Modell ausgeht, hat einfach etwas Grundlegendes nicht verstanden. Etwa, dass es einen Unterschied macht, ob das Grundgesetz abgelehnt wird, weil mensch gerne ein demokratischeres Gesetz hätte oder weil mensch gerne Vernichtungslager aufsperren möchte. In Deutschland wurde die Extremismus-Theorie zur Staatsdoktrin erhoben und damit antifaschistische Arbeit dort, wo sie am dringendsten nötig ist, erschwert. Die Arroganz und Chuzpe ist atemberaubend: Bei Rechtsextremisten wegschauen und sie vielleicht sogar noch fördern, als Partei(en) nichts gegen Rechtsextremismus unternehmen, als Regierung die Kommunen und Gemeinden sich selbst überlassen und dann die bestrafen, die in Selbstorganisationen gegen Nazis aufstehen. So in etwa dürfte sich das die ÖVP auch vorstellen, auch wenn CDU und vor allem CSU damit gnadenlos gescheitert sind. Mit den Kriminalisierungsversuchen von Anti-WKR-Ball-Demos und Tierschützer_innen wurden schon erste Markierungen gesetzt. Gleichzeitig können sich Nazis in Österreich frei bewegen. Weder der WKR-Ball wurde und wird beobachtet noch das Objekt 21 hatte das Innenministerium am Radar. Bei Nazikonzerten begrüßt die Polizei die Gäste mit Handschlag (http://www.youtube.com/watch?v=5UPBSVKZZDk) und auch bei anderen Naziaktivitäten (etwa Alpen-donau.info) agiert das schwarze Innenministerium mehr als lax. Im Verfassungsschutzbericht werden bei Rechtsextremismus nicht einmal Organisationen geschweige denn Treffen oder Namen genannt, während dies bei „Linksextremismus“ sehr wohl der Fall ist. „Islamischer“ Terror wird dort sowieso zur größten aller Gefahren stilisiert, während die Straftaten klar zeigen, dass diese der Rechtsextremismus ist. Dieser hat, im Gegensatz zu allen anderen „Gefahren“ im Verfassungsschutzbericht, auch schon zu etlichen Todesopfern in der Zweiten Republik geführt. Über die Zeit davor und die Kontinuitäten brauchen wir ja eigentlich nicht reden. Anstatt die größte Gefahr beim Namen zu nennen, wird Rechtsextremismus nebulös unter „Extremismus“ versteckt. Das schützt Rechtsextreme, das schützt Nazis. Das suggeriert, dass jene, die sich antifaschistisch betätigen genauso sind wie Rechtsextreme. Gleichzeitig suggeriert es, dass es eine „gute“ unpolitische Mitte gibt, die das zu erreichende Ideal darstellt. Und das ist die ÖVP. Das ist völlig abstrus, wenn wir wissen, was z.B. der CV so alles tut und wenn wir sehen, welche Gesetze von der „Mitte“ beschlossen wird. Die „Mitte“ kann genauso rassistisch, homophob etc. pp. sein, wie ein „rechtsextremes Eck“. So ein Verhalten der „Mitte“ gibt rechter Gewalt erst Auftrieb und legitimiert diese. Damit gibt es einen qualitativen Unterschied was Gewalt betrifft, aber sonst keinen. Es gibt keine zwei Extreme und eine Mitte. Es gibt Narrative und Diskurse, die unterschiedlich bedient und gefördert werden. Wird ein rechtsextremer Diskurs, wie die drei genannten, befeuert, dann hilft das, wenig überraschend, vor allem jenen, die diese Logiken auch in physischer Gewalt Ausdruck verleihen wollen.

Hier eine Auflistung, wo das Innenministerium im Kampf gegen Rechtsextremismus versagt hat:

  1. Der WKR- oder „Akademiker“-Ball wird als das größte Treffen der internationalen, rechtsextremen Elite weder beobachtet noch thematisiert
  2. Antifaschistische Gruppen werden kriminalisiert
  3. Potentiellen Verbindungen zur NSU wird nicht nachgegangen (die Burschenschaft Raczeks zu Bonn mit engen Kontakten zum WKR, Normannia Jena)
  4. Rechtsextreme Gewalt wird unterschätzt und verleugnet (siehe Angriff auf den ehemaligen Bundesratpräsidenten Konecny)
  5. Vor den Augen des Innenministeriums konnten sich Netzwerke im Umfeld von organisierter Kriminalität, Gewalt und Rechtsextremismus etablieren – siehe Objekt 21
  6. In Österreich können Nazikonzerte völlig unbehelligt stattfinden (siehe Recherchen des Journalisten Thomas Kuban und der Dokumentation „Blut muss fließen“)

Kommunikationsstrategien der Neuen Rechten

Der folgende Ausschnitt fasst die Strategien der Neuen Rechten zusammen. Die Aufzählung versteht sich natürlich nicht als abgeschlossen.  Diese Auflistung entstammt ursprünglich meiner Diplomarbeit, die unten als Quelle auch genannt wird.

Strategie

Die ‘Neue Rechte’ hat den Rechtsextremismus auch im Bereich der Strategie modernisiert. Statt offen ihre Absichten und Ansichten kundzutun, verklausuliert sie sie oder wendet andere strategische Mittel an. Die folgende Auflistung versteht sich als Überblick über die verschiedenen Strategien. Sie versteht sich nicht als erschöpfend. Die Strategien werden nicht tief gehend und im Detail behandelt, da bei der schieren Mengen der unterschiedlichen strategischen Mittel der Platz nicht ausreichen würde.

3.5.1. Mimikry

Mimikry ist ein Verbergen der tatsächlichen Absichten beziehungsweise, wie Aftenberger es beschreibt, keine Selbstverleugnung, sondern die Strategie, bewusst Konzepte nur selektiv auszusprechen, so dass sie an einen gesellschaftlichen Diskurs andocken können.1 Ein Beispiel für rhetorisches Mimikry ist eine Aussage Thora Ruths in der rechtsextremen Zeitschrift der Deutschen in Argentinien La Plata Ruf von 1973:

Wir müssen unsere Aussage so gestalten, daß sie nicht mehr ins Klischee der ‘Ewig-Gestrigen’ passen. Eine Werbeagentur muß sich auch nach dem Geschmack des Publikums richten und nicht nach dem eigenen. Und wenn kariert Mode ist, darf man sein Produkt nicht mit Pünktchen anpreisen. Der Sinn unserer Aussage muß freilich der gleiche bleiben. Hier sind Zugeständnisse an die Mode zwecklos. In der Fremdarbeiter-Frage etwa erntet man mit der Argumentation ‘Die sollen doch heimgehen’ nur verständnisloses Grinsen. Aber welcher Linke würde nicht zustimmen, wenn man fordert: ‘Dem Großkapital muß verboten werden, nur um des Profits willen ganze Völkerscharen in Europa zu verschieben. Der Mensch soll nicht zur Arbeit, sondern die Arbeit zum Menschen gebracht werden.’ Der Sinn bleibt der gleiche: ‘Fremdarbeiter Raus!’ Die Reaktion der Zuhörer wird aber grundverschieden sein2

3.5.2. Insinuation

Insinuation heißt, etwas andeuten, so dass alle beziehungsweise die, die es sollen, ganz genau wissen was gemeint ist, ohne es zitierbar wiederzugeben.

Die Methode der Insinuation beruht auf dem Prinzip, etwas in der Sache zu behaupten, ohne es in der Form beweiskräftig behauptet zu haben. Die Eingeweihten wissen, was gesagt werden soll. Gegen jeden Außenstehenden kann das Gemeinte mit Verweis auf den nackten Wortlaut, wo es angebracht erscheint, bestritten werden. 3

Die Strategie der Insinuation ist gerichtlich schwer bis nicht zu ahnden.4 Dementsprechend wird sieverwendet, umverbotene oder gesellschaftlich sanktionierte Inhalte zu transportieren. Empören sich andere darüber, kann auf den reinen Wortlaut verwiesen werden. Besonders die FPÖ wendet diese Methode gerne an. FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl zum Beispiel sagte im österreichischen Nationalrat bei einer Debatte zum Pensionssystem, dass Pensionist_innen höhere Pensionen bekommen sollten, da sie das Land aufgebaut hätten. „Sie sind nicht davongelaufen, so wie andere aus aller Herren Länder, die sie verhätscheln“, so Kickl weiter.5Im reinen Wortlaut kann Kickl darauf verweisen, dass er ‘nur’ die heutigen Flüchtlinge gemeint habe (was auch eine rassistische und despektierliche Äußerung wäre). Im Zusammenhang mit den Pensionist_innen, die das Land aufgebaut hätten, kann auch der Schluss gezogen werden, dass es sich bei den ‘Davongelaufenen’, um Flüchtlinge zu Zeiten des Nationalsozialismus handelt.

3.5.3. Anspielungen

Eine beliebte Strategie ist auch, bestimmte Inhalte nur anzudeuten. Durch Codes und Chiffren werden die Aussagen weniger angreifbar, auch wenn das Publikum genau weiß, was damit gemeint ist.6 Die Strategie der Anspielungen erweitert somit das Feld des Sagbaren auf verdeckte und unterschwellige Art und Weise.7Der Antisemitismus der ‘Neuen Rechten’ wird nicht offen ausgesprochen, sondern über Codes und Chiffren angedeutet.8 Diese Strategie funktioniert ähnlich wie Insinuation. Hier werden Dinge zwar ausgesprochen, aber durch Codes ersetzt. So ist ‘Ostküste’ ein antisemitischer Code für ‘jüdisches Finanzkapital’9. Dieser Code gilt für die gesamte rechtsextreme Szene.

3.5.4. Semantisches Verwirrspiel

Eine weitere Strategie der ‘Neuen Rechten’ ist es, eine Umwertung von Begriffen vorzunehmen. Anstatt einen Begriff (oft der politischen Gegner_innen) völlig zu verbannen, wir dieser mit neuem Inhalt (der durchaus völlig konträr zu dem ursprünglichen steht) gefüllt. Sie bemühen sich, Definitionsmacht über bestimmte Begriffe zu gewinnen und sie in ihrem Sinne umzudeuten.10

Das geschieht zum Beispiel mit dem Demokratie-Begriff, der identitär umgedeutet wird.11 Auch der Begriff ‘Gleichberechtigung’ wird umdefiniert anstatt bekämpft. Gleichberechtigt sei eine Frau, wenn sie gemäß ihrer fraulichen Eigenschaften handeln könne und das heißt Mutter sein.12

Im Sinne des Ethnopluralismus versucht die ‘Neue Rechte’ auch die Begriffe ‘Rassismus’ und ‘Antirassismus’ neu zu besetzen. Rassistisch sei es, Menschen zur Assimilation und überhaupt zum Verlassen ihrer Heimatländer zu zwingen. Antirassistisch sei es, die Leute wieder zurück in ihre Herkunftsländer zu bringen, wo sie ihre Kultur leben könnten.13

3.5.5. Salonfähigkeit

Ein erklärtes Ziel der ‘Neuen Rechten’ ist es, die Grenzen zwischen Rechtsextremismus und demokratischen Meinungen aufzulösen, wie es der Verfassungsschützer Wolfgang Cremer ausdrückt.14 Dazu zählt es, Gäste aus dem konservativen und liberalen Bereich auf Veranstaltungen einzuladen oder als Gastautor_innen zu gewinnen. Die Junge Freiheit wendet diese Strategie erfolgreich bei ihren Kampagnen und Petitionen an, wie zum Beispiel bei jener für Pressefreiheit 1994.15Benthin attestiert der ‘Neuen Rechten’ mit dieser Strategie die Schaffung einer Teilöffentlichkeit, was für die rechtsextreme Szene tatsächlich neu ist. Damit sorgt sie für einen stärkeren Einfluss auf Diskurs und allgemeine Öffentlichkeit.16 Günther Nenning ist ein Beispiel für die ‘neu-rechte’ Strategie der Salonfähigkeit. Als vermeintlicher Grüner oder Linker publiziert er rege in vielen ‘neu-rechten’ Magazinen und gibt ihnen somit einen Anstrich von Seriosität.17

Ein anderes Beispiel ist derSammelband Multikultopia (1990) des Junge Freiheit-Redakteurs Stefan Ulbrich. Auch Heiner Geißler steuerte, wohl aus Unwissenheit, einen Beitrag dazu bei.18

3.5.6. Querfront

Mit einer Querfrontstrategie versucht die ‘Neue Rechte’ an linke Diskurse und Themen anzuschließen und einen Weg zu finden, wie sich diese Konzepte miteinander (scheinbar) vereinen lassen.19 Um den Anschluss an linke Diskurse zu schaffen, wurde schon in der Beginnphase der ‘Neuen Rechten’ Entwicklungshilfe als Kulturimperialismus und Kolonialismus gebrandmarkt, wie Günter Bartsch beschreibt.20 Günther Nenning und seine Publikationen in der Aula werden von rechter Seite als leuchtendes Beispiel der ‘Neuen Rechten’ für eine erfolgreiche Querfrontstrategie in Österreich beschrieben. 21

3.5.7. Den Rahmen des Sagbaren erweitern

Eine beliebte Strategie ist die sogenannte Salami-Taktik, bei der die Grenzen des Sagbaren nach und nach erweitert werden.22 Die ‘Neue Rechte’ versucht, das Sag- und Akzeptierbare immer mehr zu erweitern. Das heißt, Aussagen werden nicht offen rassistisch formuliert, sondern gerade so, dass sie sich innner- oder gerade außerhalb eines akzeptierten Rahmen befinden, so dass dieser erweitert wird.23 So ist der von der FPÖ häufig verwendete Begriff ‘Überfremdung’, der direkt an den Nationalsozialismus anschließt, wieder fest im politischen Diskurs verankert, nachdem er anfangs noch für Empörung gesorgt hat.24

3.5.8. Kein links, kein rechts

Eine weitere Strategie ist es zu behaupten, dass die ‘Neuen Rechten’ fernab eines links-rechts-Konzeptes stehen und von beiden Anleihen nehmen. Damit wollen sie sich aus dem rechtsextremen Eck herausnehmen und sich selbst einen offenen und pragmatischen Anstrich geben.25Ein Beispiel hierfür ist die Extremismustheorie.So fordern etwa Uwe Backes und Eckhard Jesse als Anhänger der Extremismustheorie, dass der Staat eine ‘Äquidistanz’ zu Links- und Rechtsextremismus halten soll. Gerade diese beiden Wissenschaftler publizieren selbst gerne in ‘neu-rechten’ Zeitschriften. 26

3.5.9. Kulturrevolution von rechts

Alain de Benoist, als Theoretiker dieses Modells, beruft sich in seiner Konzeption von kultureller Hegemonie auf den marxistischen Theoretiker Antonio Gramsci, der seine Gefängishefte im Gefängnis des Mussolini-Regimes schrieb. Die ‘Neue Rechte’ versuchte und versucht sich seine Theorie für ihre Zwecke nutzbar zu machen, indem sie essentielle Teile einfach ignoriert, wie die ökonomische Basis und deren Entwicklungen, die bei Gramsci eine entscheidende Rolle spielen.27 Gramscis Theorie besagt, dass in westlichen Ländern nicht analog zu Russland eine Revolution stattfinden könne, da es eine Zivilgesellschaft gäbe. Diese besteht aus Kirchen, Gewerkschaften, Medien, Vereinen und so weiter. Diese halten den Konsens der Herrschaft aufrecht. Erst wenn diese gewonnen werden, bricht der Konsens und damit die aktuelle Herrschaft, die sich dann nur noch mit Zwang als letztem Mittel behelfen kann. Für eine wahre Revolution bedarf es also intellektueller Vorarbeit. Gramsci lehnte dabei aber keineswegs, wie von Benoist behauptet, das marx’sche Basis-Überbau-Modell ab, sondern suchte die dogmatische Betonung der ökonomischen Basis als alleinigen entscheidenden Faktor zu brechen.28 Die von Benoist geforderte ‘Metapolitik’ will eine Machtübernahme im vorpolitischen Raum. Es geht dabei eben nicht um Parteienpolitik, sondern darum, den Konsens einer Gesellschaft nach rechts zu verschieben.29 Dabei entzieht er Gramsci jegliche marxistische Grundlage. Benoist ignoriert die ökonomische Basis komplett, was Gramsci so nicht getan hat. Gramsci ging es auch nicht um einen bloßen instrumentellen Nutzen. Er wollte am Alltagsverstand der Menschen andocken, um sie moralisch und intellektuell in Erwägung der eigenen sozialen Situation vom Sozialismus überzeugen zu können.30Benoist zielt hingegen in einer elitären Strategie auf intellektuelle und mediale Eliten und Multiplikator_innen, nicht aber auf die Arbeiter_innen wie Gramsci, ab.

3.5.10. Entlastungszeug_innen

Eine weitere Strategie ist es, Entlastungszeug_innen für die eigene Aussage anzugeben, die über Zweifel erhaben zu sein scheinen. Aussagen von Juden und Jüdinnen oder Migrant_innen geben scheinbar oder tatsächlich den Ausführungen der ‘Neuen Rechten’ recht. Dadurch müssen diese, nach deren Logik, wahr und immun gegen Kritik sein.31 Jäger und Jäger illustrieren diese Strategie mit einem Beispiel, in dem Hans Schirmer in der Deutschen Stimme (der NPD-Zeitung) einen amerikanischen Professor zitiert, der den Deutschen einen ‘Hitler-Komplex’ attestiert, das die Deutschen daran hindere, mit dem Nationsgedanken ins Reine zu kommen. 32

3.5.11. Relativieren

Die ‘Neue Rechte’ verfolgt nicht mehr die Strategie der Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus, insbesondere der Shoah, sondern versucht, diese zu relativieren. Dies tut sie zum Beispiel, indem sie die Gedenkkultur und Vergangenheitsbewältigung als Strategie zur Selbstgeißelung und zum Kleinhalten der Deutschen sieht, die von den Siegesmächten von 1945 oktroyiert worden sei.33 Die Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus passiert dann aber ganz im Stil der Alten Rechten, wie Iris Weber aufzeigt.34

Eine wichtige Initiative initiierte die ‘Neue Rechte’ am 8. Mai 1995, als sie unter dem Schlagwort „Wider das Vergessen“ den Tag der Kapitulation Deutschlands zu einem Gedenktag für die deutschen ‘Vertriebenen’ umfunktionieren wollte. Viele Persönlichkeiten aus dem konservativen und bürgerlichen Lager unterschrieben den Aufruf zusammen mit Protagonist_innen der ‘Neuen Rechten’.35

3.5.12. Delegitimation

Das gezielte Lächerlichmachen der gegnerischen Ideologie, der Institutionen sowie der Symbole ist eine wichtige Strategie der ‘Neuen Rechten’.36 Klaus Kunze beschreibt in seinem programmatischen Aufsatz „Wege aus der Systemkrise“, dass die Deligitimation des demokratischen Prinzips die wichtigste Aufgabe der Rechten sei. Tabubruch und gezieltes Lächerlichmachen seien die integralen Bestandteile dieser Deligitimationsstrategie.37 Ein Beispiel dafür ist, dass Political Correctness mit übertrieben religiösen und ethischen Metaphern bedacht und damit auch die Aussage dahinter, also dass Menschen sprachlich nicht diskriminiert werden sollen, delegitimiert wird.38

3.5.13. Erosion

Zielobjekt der ‘Neuen Rechten’, die Baumann im rechtsextremistischen Bereich ansiedelt, ist der innere Rand des Verfassungsbogens. Mit dieser Strategie zielen sie auf eine Erosion zwischen dem Spektrum, das noch im Verfassungsbogen liegt und jenem außerhalb ab.39 Es geht also darum, die Grenzen zwischen den verschiedenen Spektren zu verwischen. Diese Strategie baut direkt auf jener der ‘Salonfähigkeit’ auf. Zunächst versuchen sich die ‘Neuen Rechten’ als legitime Diskurspartner_innen darzustellen, dann wollen sie zeigen, dass ihre Ansichten quasi ident mit jenen des bürgerlichen Spektrums sind, um so immer weiter in dieses vorzudringen. Der Verfassungsschutz warnt insbesondere vor dieser Strategie.40 Dies schließt ein, eine ganz klare Unterscheidung von Rechtsextremismus und wertkonservativem Spektrum zu treffen. In Deutschland gibt es den politischen Konsens aller Parteien, mit rechtsextremen Parteien auf keiner Ebene gemeinsame Sache zu machen. Dieser organisatorische Konsens hält. Dies sagt aber nichts über die ideologische Nähe des wertkonservativen Flügels der CDU/CSU zur ‘Neuen Rechten’ aus. Initiativen wie „Wider das Vergessen“ zeigen besagte Erosion sehr anschaulich.41 In Osteuropa, aber auch in Österreich, wie die Regierungsbeteiligung der FPÖ ab 2000 zeigte, gab es eine Abgrenzung von konservativen Kräften zu rechtsextremen und nationalistischen nie, demzufolge kann es auch nicht zu einer ‘Erosion’ kommen.42

3.5.14. Retorsion

Retorsion bedeutet, dass sich die „ethnische Mehrheit an der Macht […] mit der Position der machtlosen Minderheit [bewaffnet] und sich gegen diese [wendet].“43Terkessidis beschreibt dies am Beispiel der Black Power Bewegung und einer Ableitung der ‘Neuen Rechten’ zu White Power. Wer für die Emanzipation der Black Community in den USA sei, müsse auch gleichzeitig für die Freiheit der Weißen kämpfen.44 Machtgefälle und Unterdrückung werden nicht wahrgenommen, sondern die Rolle der Unterdrücker_innen und der Unterdrückten wird einander gleichgestellt oder sogar ins Gegenteil verkehrt. Diese Strategie findet oft beim Thema Feminismus Anwendung, bei dem sich die ‘Neue Rechte’ permanent in der Opferrolle sieht. Der Feminismus sei der eigentliche Sexismus und dazu da, Männer zu verfolgen.45

Quelle: Strobl, Natascha (2012). Strategie und Ideologie der ‘Neuen Rechten’ am Beispiel des Funken. Diplomarbeit Universität Wien.

1 Aftenberger 2007, S. 200

2 Feit 1987, S. 25

3 Meyer 1995, S. 18

4 Cremer 1998, S. 74

5 Empörung über Aussagen von FPö-Generalsekretär Kickl 2011

6 Aftenberger 2007, S. 205

7 Jäger und Jäger, S. 98

8 Aftenberger 2007, S. 64

9 Bergmann 2005

10 Aftenberger 2007, S. 197

11 Pfahl-Traughber 1998b, S. 86

12 Brauner-Orthen 2001, S. 64

13 Aftenberger 2007, S. 156

14 Cremer 1998, S. 73

15 Aftenberger 2007, S. 203

16 Benthin 2004, S. 234

17 Perner et al. 1994, S. 50

18 Terkessidis 1995, S. 82

19 Aftenberger 2007, S. 201

20 Bartsch 1975, S. 47

21 Perner und Purtscheller 1994, S. 77

22 Jäger und Jäger, S. 114

23 Aftenberger 2007, S. 195

24 Dokumentationsarchiv Österreichischer Widerstand 1999

25 Aftenberger 2007, S. 195–196

26 Terkessidis 1995, S. 227–228

27 Aftenberger 2007, S. 92

28 Pfahl-Traughber 1998a, S. 6

29 Müller 1995, S. 17

30 Pfahl-Traughber 1998a, S. 5

31 Aftenberger 2007, S. 203–204

32Jäger und Jäger, S. 75

33 Weber 1997, S. 70

34 Weber 1997, S. 72

35 Brauner-Orthen 2001, S. 29

36 Pfahl-Traughber 1998b, S. 86

37 Pfahl-Traughber 1998a, S. 9–10

38 Auer 2002, S. 295

39 Baumann 1998, S. 101

40 Pfeiffer 2003, S. 7

41 Brauner-Orthen 2001, S. 29

42 Schiedel 2011, S. 21

43 Terkessidis 1995, S. 67

44 Terkessidis 1995, S. 67

45 Brauner-Orthen 2001, S. 62–63