Die Wiener Zeitung, in Form von Gerhard Lechner, hat am 7. September die Rezension eines Buches online gestellt.
Soweit, so uninteressant. Das Problem: Es handelt sich dabei um das Buch eines der führenden Köpfe der Neuen Rechten, Martin Semlitsch, der sich Martin Lichtmesz nennt. Semlitsch gibt sich gerne unangepasst und verschwurbelt, was bei seinen rechtsextremen Fanboys und -girls gut ankommt. Eine Kostrpobe seines Stils (der sich durch Pathos und viele Worte für wenig Inhalt auszeichnet) bekommt man regelmäßig im Zentralorgan der deutschsprachigen Neuen Rechten, der Sezession. Herausgeber und enger Vertrauter von Semlitsch ist Götz Kubitschek, der bei Pegida (und Legida) eine wichtige Rolle einnimmt. Die Zeitschrift ist eine Drehscheibe für alles was sich in der Szene so tut. Die Szene – das ist die Neue Rechte. Die Neue Rechte stellt sich seit zehn Jahren neu auf, die Ziele sind gleich geblieben: Diskursverschiebung nach rechts. Statt schnöder Parteipolitik sind die Aktivist_innen vor allem online und publizistisch aktiv und liefern das Unterfutter für die gesamte rechtsextreme Szene. Die Identitären sind hier eine der jüngsten Entwicklungen, sie haben auch konsequent den Schritt auf die Straße gewagt und fallen durch Spontanaktionen auf, wie etwa die sehr kurze Blockade des Hilfskonvois für Flüchtlinge von Wien nach Ungarn. Medial hat das oft nicht wirklich Widerhall. Auf facebook wurde die Aktion jedoch innerhalb kürzester Zeit 700 Mal geteilt.
Zurück zu Semlitsch: Nach einem Aufenthalt in Berlin wohnt er seit einigen Jahren wieder in Wien. Er ist hier eng mit den Identitären verknüpft, kommt auf ihre Vortragsabende und schreibt über ihre Aktionen. Daneben ist seine publizistische Haupttätigkeit bei der Zeitschrift Sezession mit Abstechern zu anderen genauso rechtsextremen Portalen wie etwa eigentümlich.frei, dem sympathischen Gemisch von hardcore neoliberalen und rechtsextremen Inhalten, wie etwa im Interview mit dem NPD-Vorsitzenden und mittlerweile EU-Abgeordneten Udo Voigt.
Der Grundtenor von Semlitschs Schaffen ist also nicht wahnsinnig schwer herauszufinden, googeln, zum Beispiel, hilft. Die Wiener Zeitung scheint sich dessen aber durchaus bewusst zu sein, schließlich beginnt die Rezension mit der (für den Autor ironischen) Erkenntnis, dass es sich bei Semlitsch um einen „bösen Rechten“ handle. Sogar Zeitschrift und Verlag werden genannt. Das Featuren des Buches und des Autor passiert also augenscheinlich in vollem Bewusstsein über seine politische Verortung. Bleibt die Frage: Warum eigentlich, liebe Wiener Zeitung? Jetzt ernsthaft: Warum? Sind rechtsextreme „Meinungen“ plötzlich zulässig? Wir können uns ja anschauen, was Herr Semlitsch fast zeitgleich mit der Rezension in einem Artikel für die Sezession über Flüchtlinge schreibt. (Link geht auf rechtsextreme Seite, ich mach das nicht oft und nicht gern, es dient der Illustration) In einem sehr nervigen vier-Seiten-Geschwurbel hält er sich so gar nicht mehr zurück, sondern bezeichnet Empathie als „Krankheit“, Flüchtlinge als „Untermenschen“ (die Gutmenschen so gerne lieben würden), Antirassismus als „Zermürbungsstrategie“, Frauen mit Refugees welcome-Banner attestiert er, dass sie auch gute „BDM-Mädchen abgegeben hätten“ und suggeriert, dass Flüchtlinge westliche Frauen vergewaltigen wollen.
Die Wiener Zeitung findet trotzdem warme Worte für ihn. Schließlich sei er ein „Lesevergnügen“, Semlitsch durchwandere die „europäische Geistesgeschichte“ und „beklage die Entzauberung der Welt“. „Leichtfüßig“ gehört die „Zuneigung dem einsamen Helden“. Unkritisch ist für solche Worte nur ein müder Behelfsausdruck. „Kindlich anhimmelnd“ trifft es schon eher, was hier passiert. Semlitsch wird auf ein Podest gehoben. Der Rezensent hat sich weder die Mühe der Recherche, noch des kritischen Lesens gemacht. Die verhandelten Topoi sind nämlich weder neu, sondern sehr unklar konnotiert. Der einsame Held der auf verlorenem Posten ausharrt ist ein Bild, das von Ernst Jünger geprägt wurde und für die rechtsextreme Szene von zentraler Bedeutung ist. Es diente nach dem Ersten Weltkrieg der Sinngebung eines verlorenen Krieges und heute der Selbstheroisierung in einem „dunklen Zeitalter“, einem Interregnum, einem Kali Yuga (hier kommt auch die rechtsextreme Esoterik mit Vorbild Julius Evola ins Spiel). Auch das dürfen ach-so intellektuelle Rezensenten der Wiener Zeitung erkennen und benennen. Herausgekommen ist ein peinlicher PR-Artikel für einen Rechtsextremen. Ist das von der Wiener Zeitung tatsächlich gewünscht?