Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt – immer da, wenn es brenzlig für Rechts wird

Manchmal ist die Realität absurder als die fiktive Welt. Denn was in einer beeindruckenden Inszenierung aus Medien, Justiz und Politik rund um die Refugee-Proteste abläuft, das würde auch noch Birgitte Nyborg aus Borgen überraschen. Offenbar wurde Wag the dog ebenso vielerorts als Anleitung und nicht als Warnung gesehen.

Die ÖVP macht sich wahlkampftechnisch das Leben gerade selbst sehr schwer. Erst Bienenkiller Berlakovich, dann Beatrix-kein-Paradies-Karl und jetzt auch noch Herr von und zu was-schert-mich-die-Verfassung aka Töchterle. Dazwischen Peinlichkeiten wie das Spindeleggers Zwinkervideo, Kurz’ peinliches Video mit gefälschten Zeitungsmeldungen und die üblichen Blödheiten, die ein Wahlkampf so mit sich bringt. Wahlkampfthemen wie Pensionen, Umverteilung oder Korruption schmecken gar nicht, also was gibt’s Besseres als den richtig harten Hund mit einfachen Stammtischparolen bellen zu lassen? In traditionell bürgerlicher Manier sucht man sich hier die Schwächsten einer Gesellschaft aus.

Wie der „Zufall“ so will, platzen mitten in das Gesamt-Unheil der ÖVP die Abschiebebescheide für die Flüchtlinge. Einige Tage zuvor hieß es noch, sie müssten sich „nur“ einmal am Tag melden (eine Schikane für sich), drei Tage später werden sie abgeschoben. Da kann die Innenministerin wieder markige Sprüche von sich geben, sich auf den Rechtsstaat berufen, der sonst gerne klein geredet wird (Stadterweiterungsfonds, Immobilienverkäufe Studiengebührenregelungen samt Aufruf Töchterles zum Verfassungsbruch und wie geht es eigentlich KHG?).

 Dabei geht es weder um den Rechtsstaat, noch um die Flüchtlinge – es geht um den Wahlkampf. Es geht darum, dass die ÖVP endlich themensetting betreiben und den Takt vorgeben kann. Es geht darum, im Becken der angeschlagenen FPÖ zu fischen und das geht am besten mit Aktionen wie aus Straches feuchten Träumen. Nachdem die Abschiebe-Aktionen bei noch laufenden Verfahren nicht ganz die mediale Rückmeldung erreichten wie erhofft, musste natürlich nachgelegt werden. Zufällig und zum idealen Zeitpunkt ließen das Justizministerium und die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt verlauten, dass drei der Flüchtlinge sowieso ein Schleppernetzwerk aufgezogen und Millionen verdient haben. Padauz, welch irrer Zufall, dass das alles so gleichzeitig bekannt wird. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat sich (Zufall, Zufall!) schon in der Vergangenheit als idealer Partner gegen Linke und alles, was am authentischen bürgerlichen Weihnachtsessen als „dreckiges Gesindel“ beschrieben wird, gezeigt.

Tierschutzprozess

Auf das Konto der Staatsanwaltschaft geht zum Beispiel der Prozess gegen die Tierschützer_innen. In seinen Ungeheuerlichkeiten wurde er eingehend beschrieben. Das Urteil wurde mittlerweile auch wieder aufgehoben. Ein Highlight war etwa ein Staatsanwalt, der mit den Fingern andeutet, Tierschützer_innen zu erschießen. Alles genau im Detail gibt es hier nachzulesen: http://tierschutzprozess.at/

Alpen-Donau.info

Der Prozess wurde sehr langatmig geführt und nach dem (noch immer nicht rechtskräftigen) Urteil bleiben viele Fragen offen. Fragen zu Verbindungen zur FPÖ wurden etwa völlig ausgeklammert, obwohl es genug Beweise (hier sei auch noch einmal das Engagement von Uwe Sailer gewürdigt) gibt. Immerhin wurden drei Angeklagte (darunter Küssel) verurteilt, bei vielen weiteren Verdächtigen blieb die Verantwortung aber unklar.

 Moschitz gegen Strache

 Die Vorgeschichte ist bekannt. Am Schauplatz-Redakteur Ed Moschitz begleitet Strache auf einer Wahlkampf-Tour und nimmt Parolen auf, die unters Verbotsgesetz fallen. Strache startet daraufhin eine Hetzkampagne, phantasiert von manipulierten Bändern und Sonstigem. Die Staatsanwaltschaft verschleppt die Angelegenheit und scheint im besten Fall heillos überfordert. Weitere Infos hier: http://www.falter.at/falter/2013/04/02/der-verschleppte-fall/

 Personlia

 Da gibt es etwa einen gewissen Harald Eisenmenger, stramm rechter Burschenschafter (Wahnfried im Milleu genannt), früher bei der verbotenen Aktion Neue Rechte. In Wiener Neustadt hat er es zum Oberstaatsanwalt geschafft. 1997 schickte er seinen Corpsbrüdern eine Liste mit Arminia Mitgliedern, denen “stets ein ehrendes Angedenken bewahrt werden sollte”. Unter den von Eisenmenger geehrten Mitgliedern befanden sich der Gestapo-Chef von Rom, Herbert Kappler, der für die Deportation von tausenden Juden verantwortlich war, der NS-Luftwaffenkommandant Ulrich Rudel und der Kriegsverbrecher Walter Reder. Er ist nach wie vor bei der “Europaburschenschaft Arminia zu Zürich in Wien” alter Herr, die als Keimzelle des schweizerischen Neonazismus gilt und es sogar schaffte, aus dem Dachverband Deutsche Burschenschaft rauszufliegen. Gerade in der Causa Tierschutzprozess hat sich gezeigt, warum immer wieder Wiener Neustadt mit Fällen betraut wird, die nichts mit Wiener Neustadt zu tun haben – wegen der hohen Dichte an Burschenschaftern und CVlern, wie auch Martin Balluch auf seinem Blog ausführt: http://www.martinballuch.com/?p=927

An diesem Beitrag waren viele Leute beteiligt, viele haben auch mit Informationen weitergeholfen- dafür Danke.

Marzabotto – schon wieder vergessen?

Die österreichische Erinnerungskultur ist an sich nicht besonders wohwollend mit den Opfern des Zweiten Weltkriegs umgegangen. Während in jedem niederösterreichischen Kaff etwa die armen Soldaten von Wehrmacht und Waffen SS betrauert werden, sind die Opfer nicht einmal existent. Am Ulrichsberg in Kärnten wird darüber geredet, dass das „Leid, welches der gefallene SS-Mann und der gefallene Wehrmachtsangehörige mit seinem Tod verursacht, ist immer das Gleiche“ (so auf der Gedenktafel). Über das Leid, das die SS-Männer und Wehrmachtsangehörigen verursacht haben, wird kein Wort verloren. Dieses Leid ist unaussprechlich groß.

Marzabotto ist eine Kommune in den Apenninen, jene massive Bergkette, die die Emilia-Romagna von der Toskana trennt. In den letzten Kriegsmonaten, also im Herbst/Winter ’44 bis ’45 verlief dort die sogenannte Gotenlinie, die keinem anderen Zweck diente, als den Vormarsch der Alliierten aufzuhalten. Der Krieg war, aus deutscher Sicht, schon längst verloren. Die Militäroperation diente nur noch dem Hinhalten. Die Emilia-Romagna und die Toskana sind sehr linke Flecken Italiens (wie viele andere Regionen und Städte Oberitaliens auch). Als Nebenbemerkung sei erwähnt, dass es ein Treppenwitz der Geschichte ist, dass Mussolini just dort, nämlich in Predappio, geboren wurde, was in der Emilia-Romagna sehr nahe der Toskana und gleich bei den Apenninen, liegt. Obwohl Mussolini etwa versuchte, die nahegelegne Stadt Forlí in eine faschistische Vorzeigestadt umzubauen, waren es genau diese Städte (und ländlichen Regionen) der Emilia-Romagna und der Toskana, die aktiv Widerstand leisteten. Gegen die italienischen Faschisten und die deutschen Nationalsozialisten. Heute wird die Gedenkkultur von dieser antifaschistischen Grundhaltung bestimmt. Partisan_innenhuldigungen finden sich in jedem kleinen Ort. Als besonderes Beispiel sei der Dom von Modena genannt, auf dessen Außenfassade die Namen und Bilder der Partisan_innen, die in und um Modena gewirkt haben, zu sehen sind.

2013-05-31 13.06.57

Zurück zu Marzabotto. Dort wirkte die Partisan_innengruppe Stella Rossa. Angeführt wurde sie von Mario Musolesi, genannt Lupo (Wolf). Die Partisan_innen versuchten die Deutschen am Vormarsch zu hindern und strategisch wichtige Berggipfel zu besetzen, bis die Alliierten kamen, die kurz vor den Apenninen standen. Der Monte Sole bei Marzabotto hatte hier eine besonders wichtige Bedeutung, da man von ihm weit in die Emila-Romagna und in die Toskana schauen kann. Die Partisan_innen wurden von der Bevökerung unterstützt, wie eine Zeitzeugin berichtet (Original in Italienisch, deutsche Übersetzung):

Seit Januar 1944 waren im gesamten hochgelegenen Gebiet dieser zwei Pfarreien [Anmk.: San Martino und Casaglia di Caprara; zu Marzabotto gehörend] die so genannten ‘Rebellen’, die Partisanen, aufgetaucht. Diese wurden immer zahlreicher unter Mario Musolesi ‘Lupo’, dem Befehlshaber der Brigade ‘Roter Stern’. Wir sagen diese Jungen von weitem und abends vorbeigehen. Am Anfang vermieden sie selbst, sich der Bevölkerung zu zeigen. Nach und nach wurden sie zahlreicher, und wir hatten Gelegenheit, Gruppen von ihnen in vielen Häusern zu treffen, weil sie in Heuschobern und Ställen provisorisch unterkamen. Die Bauern gaben ihnen zu essen, und man merkte, dass ihre Organisation immer besser wurde. Ich kann sagen, dass drei würdige Priester, die zu unserer kleinen Kapelle von Cerpiano kamen, um die Messe zu lesen (und die alle barbarisch von den Deutschen umgebracht wurden), sich von vornherein um die Unterstützung dieser jungen Leute bemüht haben. Sie waren überzeugt, dass es ihre Pflicht war, ihnen auf jede Art und Weise zu helfen, trotz der Drohungen und Warnungen, die jeder von ihnen erhielt.

Am Montag, den 29. September 1944, in der Früh fielen die deutschen Soldaten also in Marzabotto ein. Diese gehörten der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“ an. Vom 29. September bis zum 5. Oktober ermordeten sie allein in Marzabotto über 770 Menschen. Andere Quellen sprechen sogar von über 1800 Toten. Innerhalb weniger Tage hat die SS ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht.

2013-05-31 06.21.20

49 Menschen (20 Kinder, 27 Frauen, 2 invalide, alte Männer) wurden in den Kellern einer Kapelle eingeschlossen. Dann warfen SS-Soldaten Handgranaten. Nebenan aßen sie im Haus des Scharfrichters, spielten Musik und versteuten alle Lebensmittel, die sie nicht selbst essen können. Nach 28 Stunden wurde die Tür geöffnet und die Überlebenden erschossen. Ein Holzschild wurde aufgehängt: „Das ist das Schicksal aller, die Partisanen begünstigen“. Musolesi selbst starb schon diesem ersten Tag in Marzabotto.

In Caprara wurden 55 Menschen in einen Raum gesperrt. Wieder warfen SS-Soldaten Handgranaten. Eine Frau und ein Kind konnten sich durch den Sprung aus dem Fenster retten. Alle anderen wurden ermordet. Eine Zeitzeugin berichtet: „Vielleicht hätte jemand überlebt, aber die deutsche Grausamkeit hat ihre Feinheit: das Gebäude wurde angezündet, so dass all die armen Leute verbrannten.“

2013-05-31 06.58.36

In der Kirche von Casaglia hatten Menschen Schutz gesucht. Sie wurden vor der Kirche mit Benzin übergossen und angezündet. Dabei mussten die Väter zusehen, wie Frauen und Kinder verbrannten. In der Familie Luccarini wurden bei diesem Massaker eine Frau und ihre sieben Kinder ermordet.

Die meisten Opfer gab es an diesem nahegelegenen Friedhof von Casaglia. Eine der wenigen Überlebenden berichtet:

Da kommen die gefürchteten Deutschen: Sie kommen in die Kirche hinein und befahlen allen hinauszugehen, um sie in Richtung Friedhof einzureihen. Eine arme, an den Beinen gelähmte Frau ist dabei, Nanni Vittoria, die versucht, sich sitzend oder an einem Stuhl haltend zu bewegen. Die Deutschen wollen sie zwingen, ihren Halt los zu lassen und als sie feststellten, dass das nicht möglich ist, erschießen sie sie in der Kirche vor den Augen aller.

2013-05-31 07.17.53

Am Friedhof werden 84 Menschen ermordet. Sie SS-Männer zielten dabei sehr präzise nach unten, um auch die Kinder zu erwischen. Das ist heute noch an den Einschusslöchern der Kreuze an den Gräbern zu sehen. Die SS kam später noch zurück auf der Suche an Überlebenden.

2013-05-31 07.30.582013-05-31 07.28.20

Aber wer noch am Leben war, stellte sich tot. Ein neun Monate alter Säugling, Laffi Giorgio, war am Leben geblieben, während die Mutter und neun Mitglieder seiner Familie gestorben waren. Das Kind war auf den Boden gefallen. Man hat gesehen, wie es unter den Toten auf den Beinchen und Ärmchen über den Boden gekrochen ist, da es noch nicht laufen konnte. Es hat stark geregnet und das arme Kind ist nach einigen Stunden, die es ununterbrochen schreiend verbracht hat, aus Hunger und Kälte gestorben.

Zwischen diesen Massakern werden immer wieder Gruppen von 10 oder 20 Menschen erschossen. Alle, die den Nazis in diesen Tagen in Marzabotto begegnen, überleben dies nicht. Die Partisan_innengruppe Stella Rossa ist zerschlagen. Der Krieg in den Apenninen dauert noch bis Ende April ’45. Das Massaker von Marzabotto ist nicht das einzige Kriegsverbrechen gegen die italienischen Bevölkerung und die Partisan_innen. Insgesamt werden circa 10.000 Zivilist_innen und 40.000 Partisan_innen zwischen Sommer 1943 und dem Frühjahr 1945 von den Nazis ermordet.

2013-05-31 07.58.25

Und die Täter?

Für die Massaker in Marzabotto wurde SS-Sturmbannführer Walter Reder, zusammen mit Max Simon als Haupttäter vor Gericht, 1951 in Bologna zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 1985 wurde Reder begnadigt. Der SS-Offizier wurde 1915 in Mähren, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte, geboren. Deswegen sah sich das offizielle Österreich und allen voran die FPÖ und die Kronen Zeitung besonders verpflichtet, auf die Freilassung Reders zu pochen. Ein Jahr vor seiner Entlassung bekundete er seine Reue, was er nach seiner Freilassung wiederrief. Das hinderte das offizielle Österreich nicht daran, den „Kriegsheimkehrer“ zu bejubeln. Der damalige FPÖ-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager begrüßte Reder mit Handschlag. Mittlerweile bedauert Frischenschlager das, wie er in diesem sehr lesenswerten Interview mit dem Gedenkdienst ausdrückt: http://www.gedenkdienst.at/index.php?id=535 . Reder stirbt 1991 in Wien. Simon, in Breslau geboren, wird in Padua zum Tode verurteilt, aber schon 1954 begnadigt. 1961 stirbt er in Deutschland. Erst 2007 wird weiteren (noch lebenden) SS-Männern in La Spezia, Ligurien, der Prozess gemacht. Zehn Offiziere werden verurteilt: Paul Albers, Josef Baumann, Max Roithmeier, Adolf Schneider, Max Schneider, Kurt Spieler, Heinz Fritz Träger, Georg Wache, Helmut Wulf und Hubert Bichler. Weder die deutsche noch, im Fall von Bichler, die österreichische Justitz fanden es Wert, die Verurteilten an Italien auszuliefern. Unbehelligt konnten sie ihren Lebensabend fristen. Bichler verbrachte diesen in Hopfgarten in Tirol. Lokale antifaschistische Gruppen machten auf den Verbrecher gegen die Menschlichkeit im beschaulichen Hall aufmerksam. Doch nichts passierte. Weder Politik, noch Justiz, noch die Medien trommelten gegen Bichler in dem Maße, wie sie sich für Reder eingesetzt hatten. Er durfte in Freiheit und ohne für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden zu sein 2009 in Hopfgarten sterben. Der Ort seines Verbrechens, Marzabotto, hingegen muss nach wie vor jeden Tag mit den Konsequenzen des Massakers leben. Zeitzeug_innen erzählen im Sacrario, wo die Namen aller Opfer aufgelistet und an andere Orte von Kriegsverbrechen erinnert wird, von den Geschehnissen.

2013-05-31 04.28.11

Am Wanderweg zu Orten des Massakers liegt auch die Scuola di Pace di Monte Sole, die Friedensschule, die das Zusammenkommen von jungen Menschen im Sinne der internationalen Verständigung fördert. Die Opfer und ihre Nachkommen müssen und mussten sich mit dem schlimmsten Kriegsverbrechen der Nazis in Westeuropa auseinandersetzen. Die Täter und ihre Nachkommen nicht. Bis heute hat sich das offizielle Österreich nie bei der Gemeinde Marzabotto entschuldigt. Bis heute hat kein Bundespräsident und kein Bundeskanzler Marzabotto und das Sacrario oder die Orte Casaglia und Caprara sowie den Friedhof besucht.

2013-05-31 06.11.31

«È questo il fiore del partigiano,
morto per la libertà!»

(Alle Fotos privat/Nutzung auf Anfrage)

Links und Literaturtipps:

Auflistung über die Opfer und die Geschehnisse (Auf Deutsch)

Bericht des Gedenkdiensts von 2008

Homepage der Gedenkstätte (Auf Italienisch)

Berichterstattung von Mary Toffoletti Romagnoli über die Massaker von Marzabotto von Comitato Regionale per le Onoranze ai Caduti di Marzabotto (Hg.) (deutsche Übersetzung: Gabriella Guidi)

Besetzung, Widerstand und Erinnerung in Italien, 1943-1945 von Bernd Heidenreich, Marzia Gigli, Sönke Neitzel (Hg.) (2010)

von nat und julian

Ernst Jünger würde euch verachten – zur Störaktion der identitären Häschens auf der PoWi

Die selbst ernannte intellektuelle Rechte zeigt sich in den letzten Tagen tief erschüttert. Was war geschehen? Am Institut für Politikwissenschaft in Wien gab es einen Vortrag zu den Identitären im Rahmen der wunderbaren AntiFa-Woche der Studienvertretung. Die Genannten fanden es naturgemäß wenig lustig, das Objekt wissenschaftlicher Auseinandersetzung zu sein und versuchten die Veranstaltung zu stören. Das Opfer dieser Störaktion sollte vor allem ich, als weibliche Vortragende, sein. Wahnsinnig kreativ versuchten die Identitären mir Blumen zu überreichen, da das wohl die erste Assoziation ist, wenn sie bemerken, dass sie mit einer Frau interagieren müssen. Dieses altfadrische Denken ist bei Personen jenseits der 70 vielleicht ganz charmant, bei Menschen um die 20 beweist es nur, wie schwer sie sich offenbar damit tun, wenn Frauen in Bereichen tätig sind, die sie nur Männern zutrauen. Nun gut, die Rosen stinken zwar, aber rot eingefärbt sind sie eine nette Dekoration für meinen Rucksack. Die Störaktion war ebenso naturgemäß ein Reinfall. Die erste Person schaffte es noch einen Halbsatz herauszubringen, die letzten verließen schon ohne großen Aufhebens in Grüppchen den Raum und warfen mutlos die Rosen (habe ich erwähnt, dass die nicht einmal echt, sondern aus billigem Plastik waren?) zu Boden.

Neben den Rosenüberbringern und der einen -überbringerin fand sich Martin Lichtmesz in der ersten Reihe des Vortrags ein. Martin Lichtmesz inszeniert sich als Männerheld der Identitären in Wien. Fast schon klischeehaft wie der grüne Bobostudent von nebenan im Aussehen, schreibt er gegen die böse linke PC-Hegemonie und versucht sich in rechter Theoriearbeit. Dass er dabei mehr auf den Stil als auf den Inhalt achtet, mag am Milieu liegen. In einer kruden Mischung aus spengler’scher Untergangsromantik, evola’scher Schauerapokalyptik und jünger’schem Heldenpathos versucht er sich als George von Wien. Das ist irgendwie lieb, aber auch ein wenig redundant in der Lektüre. In einem Beitrag von 3sat (hier nachzusehen: http://www.youtube.com/watch?v=MIVAEIRawIo ) gibt er sich abgehoben und träumt von der rechten Revolution. Damals noch in Kreuzberg, wo er nicht ganz glücklich geworden zu sein scheint. Seit einigen Monaten versucht er in Wien, die neurechte Szene, die mit dem Funken (nein, nicht dem marxistischen, sondern dem Anderen) ihren Anfang genommen hat und nun in den Identitären gemündet ist, zu organisieren. Wie man hört, nicht immer friktionsfrei. Ganz so basisdemokratisch und anti-hierarchisch geht es nicht zu. Sowohl Lichtmesz als auch Alexander Markovics haben Begehrlichkeiten, als oberste Führungsfigur dazustehen. Der eine gibt sich als intellektueller Schriftsteller, der andere als aktionistischer Draufgänger. Beides sind natürlich Posen, die vor allem das eigene Ego befriedigen. Der große Intellektuelle schafft es nicht einmal, Marx korrekt zu zitieren, dem wagemutigen Draufgänger ist eine Kirche über mehrere Stunden zu kalt. Die Gegenbesetzung der Votivkirche war schließlich ein großes Fiasko. Vor allem, weil die Refugees ganz wunderbar reagiert haben, zum Anderen, weil die harten rechten Recken gar nicht so hart sind wie sie tun.

Besagter Vortrag auf der Politikwissenschaft hat sie nun ziemlich aus dem Konzept gebracht. Wir halten fest: Punkt 1: Störaktion ging ins Leere. Punkt 2: Herr Lichtmesz ist nur nervös auf seinem Sessel in der ersten Reihe hin und her gerutscht ohne einen Mucks von sich zu geben. Manchmal hatte es den Anschein, als nehme er nun all seinen Mut zusammen, aber dann ließ er es doch bleiben. Für jemanden, der zum Kulturkampf bläst, ist das eine sehr maue Bilanz. Das Wundenlecken ließ nicht lange auf sich warten. Rechtsextreme wären keine Rechtsextremen, würden sie nicht ihre Paradedisziplin, das Umdeuten von Opfern und Täter_innen, beherrschen. Nicht einen, nicht zwei, nicht drei, sondern ganze vier Artikel (and counting!) war ihnen der Vortragsabend wert. Es begann damit, dass sich die kleinen Kiddies der Identitären auf ihrer Facebook-Seite dafür feiern ließen, dass sie Rosen übergeben hätten. Dazu wurde mein Name und ein verwackelter Videoausschnitt aus dem Vortrag gepostet. Weniger lustig ist, dass dieser Link von ganz offenen Neonazis geteilt wurde. Hier zeigt sich nämlich das Publikum der Identitären. Sie geben sich bürgerlich-elitär, ihre Facebook-Community besteht aber zum größten Teil aus den selben alten Neonazis, die immer auf rechtsextremen Seiten zu finden sind. Das ist die Elite, die sie meinen. Weiter ging es mit einer (bis jetzt) zweiteiligen Serie auf Sezession von Herrn Lichtmesz. Er sorgt sich dort um die Linke, weil diese nämlich gegen rechts agiere, was Herr Lichtmesz für ziemlich daneben hält. Viel lieber würde er mit uns Marx und Adorno lesen. Das ist irgendwie putzig, aber um ein Rechter zu sein, den man auch ernst nehmen kann, sollte er vielleicht mit gutem Beispiel voran gehen. Dann klappt’s auch mit dem Zitieren.

Auch auf der Seite von Andreas Unterberger wurde über den Vortrag geschrieben. Herr Unterberger war einmal Chefredakteur der Presse und versucht sich seit einiger Zeit in selbstherrlicher Manier als Multiplikator in der Neuen Rechten. Zu diesem Zweck verbreitet er auf seiner Seite (für die man natürlich zahlen muss, ein guter alter Neoliberaler ist er selbstverständlich auch) alles, was das rechtsextreme Herz begehrt. Statistiken zu Migration, die so aufbereitet wurden, dass sie die eigenen Ressentiments bedienen und vielerlei Geschwurbel, das wiederum der Befriedigung der eigenen Eitelkeit dient. Dabei hat er keine unbeträchtliche Zahl an Jüngern um sich gesammelt , die sich sehr gerne ausnehmen lassen und an seinen Lippen hängen. Dort ist das Ganze schon etwas wehleidiger angegangen worden. Die bösen Linken hätten die adretten Rechten aus dem Saal geworfen und sie dabei nicht mit Glacé-Handschuhen angefasst. Daraufhin haben Letztere offenbar viel weinen müssen und ihre Gedanken in diesen nicht besonders lesenswerten Artikel gegossen.

Was lernen wir daraus? Rechtsextreme sind vor allem wehleidig und feig. Ihre Säulenheiligen, allen voran Ernst Jünger, würden sie damit nicht beeindrucken.

 

Falls ihr euch gefragt habt, was aus den gelben Blumen wurde – bitteschön:

roterosenauswien

 

Weder frei noch wild – zum Umgang der österreichischen Medien mit Rechtsrock

Seine Figur ist komplementär zum Vorwurf der Zensur konzipiert, als populäre Phantasmagorie ist der ‘Gutmensch’ der Akteur gefühlter Repression. Aufgrund seiner nie spezifizierten Macht kann der Rassist nicht mehr ungestört sagen, ‘Neger’ seien alle faul, der Antisemit fürchtet einen Ordnungsruf für seine Ansicht, dass Juden ‘schachern’ und selbst die Bemerkung, Homosexualität sei ‘widernatürlich’, kann wegen der Gutmenschen nur im Untergrund kursieren. Zur Unterdrückung des allgemeinen Menschenrechts auf diskriminierende Sprache setzt der Gutmensch seine schwerste Waffe ein: die Kritik. Daher wird sein Wirken gerne mit dem Dritten Reich oder der DDR gleichgesetzt, die demzufolge äußerst kritikfreudig gewesen sein müssen.
(Volker Weiß in „Deutschlands Neue Rechte“ über den Begriff des „Gutmenschen“)

Mit ein paar Monaten Verspätung hat die Rechtsrock-Debatte nun Österreich erreicht. Während Frei.Wild (gerade) am 9. November noch unbehelligt im Wiener Gasometer spielen durften, wurde nun ein geplantes Konzert in Wels abgesagt. In Graz wird immerhin darüber diskutiert. Als kleinen Verweis zu Wien im November sei gesagt, dass es linken Gruppen damals wichtiger erschien, sehr zweifelhaft gegen ein Neofolk-Konzert (mit 40 Besucher_innen) vorzugehen und dem einzigen Metalladen der Stadt das Leben schwer zu machen, als sich um Frei.Wild zu kümmern, die vor einem ausverkauften Gasometer gespielt haben. Nun gut, das soll nicht das Thema sein. Am 17.04. erschien im Falter ein Artikel mit der schönen Überschrift „Jede Frau ist eine Hure“. Ich schreibe den Namen aus, obwohl der Falter im Heft das letzte Wort sehr hellschwarz geschwärzt hat. Wohl um zu verdeutlichen, dass man wegen der bösen Political Correctness-Diktatur dieses Wort nicht mehr sagen darf. Das Überthema des Heftes ist Zensur. Oder Political Correctness. Da ist sich der Falter nicht so sicher. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Redakteure darin Synonyme sehen. Am selben Tag erschien im Online-Standard ein Artikel von Christian Schachinger, dem Musikredakteur, ebenfalls zu Frei.Wild. Beide schlagen in eine ähnliche Kerbe: Niemand darf etwas gegen diese Band sagen und Nazis seien sie übrigens auch nicht. Überhaupt muss Musik rebellisch und rotzig sein und Frei.Wild sind dafür glorreiche Beispiele. Mit diesem Eintrag möchte ich ein paar Missverständnisse aufräumen und es fällt mir schwer zu entscheiden, wo ich anfangen soll.

Wahre Werte – Textbeispiele

Fangen wir mit einem kurzen Abriss über Frei.Wild an. Die Eckdaten sind bekannt: Sie kommen aus Südtirol, sie singen auf deutsch und sie singen auf deutsch über Südtirol. Bei jeder weiteren Analyse scheint es Uneinigkeit in den österreichischen Medien zu geben.

Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen
Selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen
Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen
Wenn ihr euch Ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen
Du kannst dich nicht drücken, auf dein Land zu schauen
Denn deine Kinder werden später darauf bauen
Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat
Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk
(Aus „Wahre Werte“)

Südtirol, wir tragen deine Fahne,
Denn du bist das schönste Land der Welt,
Südtirol, sind stolze Söhne von dir,
Unser Heimatland, wir geben dich niemals her.
Südtirol, deinen Brüdern entrissen,
Schreit es hinaus, daß es alle wissen,
Südtirol, du bist noch nicht verlorn,
In der Hölle sollen deine Feinde schmorn
(Aus „Südtirol“)

Ich scheiß auf Gutmenschen, Moralapostel
Selbsternannt, political correct
Der die Schwachen in die Ecke stellt
Und dem Rest die Ärsche leckt
Ich scheiße auf Gutmenschen, Moralapostel
Selbsternannt, sie haben immer Recht
Die Übermenschen des Jahrtausends
Ich hasse euch wie die Pest
Ich, du, wir, die ganze Welt, sie hasst euch wie die Pest
(Aus „Gutmenschen und Moralapostel“)

Nichts als Richter
nichts als Henker
Keine Gnade und im Zweifel nicht für dich
Heut’ gibt es den Stempel, keinen Stern mehr
(…)

So, so, so
So fing alles an
Und wir reiten wieder
In den Untergang
So, so, so
So fing alles an
Weil wir es nicht verstehen
Werden wir die Welt
In Tränen sehen

(…)
Was hat der
überhaupt verbrochen
Wenn die Masse das so meint
Dann sind wir alle
Schnell dabei
Dann ist das Frei.Wild, und
Von vorne herein
Immer vogelfrei
(Aus „Wir reiten in den Untergang“)

Die vier Songtexte sind von vier verschiedenen Liedern aus drei verschiedenen Alben der Band. Es findet sich noch einiges mehr, aber das Muster ist leicht erkennbar. Einerseits zeigen sie ein recht biederes Beschwören der landschaftlichen Schönheit der Heimat. Andererseits auch immer mit dem expliziten Verweis, dass sie dieser Landschaft direkt in einer Art metaphysischem Band verbunden sie, wie alle Menschen Südtirols. Es gibt also quasi eine direkte Verbindungen der Menschen (Blut) zur Landschaft (Boden). Nicht anders definiert sich der völkische Nationalismus. Niemand wird diskutieren wollen, dass das klar dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen ist. Zweiter wichtiger Punkt im Leben der Band ist der Kampf gegen Unterdrückung und Zensur. Natürlich nur, wenn sie meinen, dass es sie betrifft. Sie sind die Verfolgten. Sie sind die, die mundtot gemacht wurden. Sie, sie sind die, anhand denen ein neues Zeitalter von Unterdrückung, Intoleranz und Krieg eingeläutet wird. Sie sind die neuen Juden. Nichts anderes vermittelt die Band. Was ich über Straches „Neuen Juden“-Sager geschrieben habe, gilt auch für Frei.Wild und ist hier nachzulesen.
Das sind eindeutig und ohne Zweifel rechtsextreme Narrative und frames, die hier bedient werden. Wenn nur die Texte angeschaut werden, kann es also keine Verwirrung geben. Woher kommt dann die verteidigende Berichterstattung von Falter und Standard?

Gegen jeden Extremismus

Ein Punkt, der zu großer Verwirrung bei Journalist_innen führt, die sich noch nie mit Rechtsetxremismus auseinandergesetzt haben, ist das Bekenntnis der Band „gegen jede Form von Extremismus zu sein“. Bekräftigend fügen sie noch an, wie sehr sie „Faschisten und Nationalsozialisten“ hassen. Das rufen sie auch bei ihren Konzerten. Dies ist eine beliebte Strategie, die mit der Neuen Rechten aufgekommen ist. Die Neue Rechte versucht sich von einer alten, offen nationalsozialistischen Rechten abzugrenzen, indem sie sich einerseits auf die sogenannte Konservative Revolution beruft. Andererseits sehen sich die Protagonist_innen wahlweise als unpolitisch oder als „Mitte“ der Gesellschaft. Diesem Denken liegt die Totalitarismustheorie zu Grunde, die den historischen Nationalsozialismus und Realsozialismus gleichsetzt. In weiterer Folgen wurden „linksextrem“ und „rechtsextrem“ gleichgesetzt, was in der Realität in der Extremismusklausel der deutschen Ministerin Schröder ihren Ausdruck fand, und antifaschistische Arbeit, dort wo sie dringend nötig ist, behindert statt sie zu unterstützen oder zumindest in Ruhe zu lassen. Abgesehen davon – wozu distanzieren sich Frei.Wild von Linksextremismus, ist das doch kein Vorwurf, der ernstlich im Raum steht. Da ist klar, dass sie sich nicht mit dem Vorwurf an sich auseinandergesetzt oder gar distanziert hätten. Es geht um die Selbstdarstellung als „Mitte“, als die sie sich wahrscheinlich wirklich sehen. Der Südtirolterrorismus wird nicht als rechtsextremer Terror sondern euphemistisch als „Freiheitskampf“ wahrgenommen. Dass dabei das who-is-who der österreichischen Neonaziszene tatkräftig beteiligt war, wird vergessen. Auch die Rolle der deutschnationalen Burschenschaften ist aus einem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Die Wiener Olypmia wurde 1961 sogar als terroristische Organisation aufgelöst. Das ist die unpolitische Mitte, die Frei.Wild meinen. Die Distanzierung von Faschismus und Nationalsozialismus ist ähnlich skurril. Niemand wirft ihnen vor, dem italienischen Faschismus nahe zu stehen, sie distanzieren sich trotzdem. Die Distanzierung vom historischen Nationalsozialismus ist aus Südtiroler Sicht gar nicht unplausibel. Sie hat nur keine ideologischen sondern reine Befindlichkeits-Gründe. Die Nazis haben wegen Südtirol keinen Streit mit Italien angefangen, was die großdeutschen Hoffnungen der Südtiroler_innen maßlos enttäuscht hat. Nun reagieren sie da enttäuscht und verwechseln das mit Antifaschismus. Verwunderlich ist, dass auch die genannten Journalisten das verwechseln. Rechtsextremismus beinhaltet mehr als den historischen Nationalsozialismus.

Rebel, Rebel

Sowohl im Falter als auch auf standard.at wird versucht, das Ganze in ein größeres Argument zu betten, nämlich jenes der Meinungsfreiheit und der Unangepasstheit von Musik. Wie wir an den Textbeispielen gesehen haben, verkaufen Frei.Wild eher biedere Kunst und auch die Musik ist nicht besonders innovativ. Diese Haltung mit Punk zu vergleichen ist fast schon makaber. Punk entstand in der tristen englischen Gesellschaft der 70er Jahre, in der diese vom Selbstverständnis Nazi-Deutschland besiegt zu haben beseelt war. Rassismus, Sexismus und viel weitere Unterdrückungsmechanismen wurden mit diesem Selbstverständnis einfach unsichtbar gemacht. Dann haben sich ein paar Kids hingestellt, Nazi-Symbole allen vor die Nase gehalten und ordentlich Krach gemacht. Dieses unkommentierte Zurschaustellen dieser Symbolik war ein Schock und gleichzeitig ein vorgehaltener Spiegel für besagte Gesellschaft. Der Umgang von Punk mit Nazisymbolen war also von Anfang ein ambivalenter, einer, der einen in einen Zustand der Unruhe versetzen sollte und bei dem niemand erklärt hat, was mensch jetzt damit machen soll. Er war radikal und subversiv und zutiefst provokant. (Das trifft auch auf D.A.F. zu, die für die Überschrift im Onlinestandard herhalten müssen) All dies trifft auf Frei.Wild genau nicht zu. Es gibt nicht das kleinste Fuzzelchen Ambivalenz bei Frei.Wild. Sie sind, wie vorher schon erwähnt, bieder und humorlos. Die Vergleiche mit Bushido und Volksmusik fußen schon eher. Inwieweit das Frei.Wild weniger rechtsextrem macht, bleibt unklar. Viel mehr müssten wir uns darüber unterhalten, warum Bushido eigentlich seinen misogynen Schwurbel von sich geben darf und welche Narrative die Volksmusikszene und allen voran Andreas Gabalier bedient. Wir können uns auch gleich weiter über Xavier Naidoo unterhalten. Der tritt recht überzeugend gegen Rassismus auf, verbreitet aber christlich-fundamentalistische Propaganda und scheut auch Hetze gegen Homosexuelle nicht. Das alles macht Frei.Wild aber nicht weniger rechtsextrem. Die Frage wie rebellisch, provokant und aufrührerisch Kunst sein darf, entspinnt sich bei Frei.Wild einfach nicht. Denn sie ist nicht rebellisch, provokant und aufrührerisch. Hier schießt der Falter also völlig am Thema vorbei.

Meinungsfreiheit

Ein anderes Argument ist jenes der Meinungsfreiheit, die unbedingt verteidigt gehört. Es gibt kein Recht auf Diskriminierung. Es gibt kein Recht auf völkischen Nationalismus. Warum sollte jemand abwertende Sprache benutzen dürfen? „Neger“, „Fotze“ und „Schwuchtel“ dienen einzig und allein dem Zweck, dass sich die Person, die diese Worte benutzt, über die Person(en), die mit den Begriffen gemeint sind, erhöht. Es dient nur dazu der Person mitzuteilen, dass sie „anders“ und „minderwertig“ ist. Eine andere Botschaft vermitteln diese Worte nicht. Es wird versucht, ein Machtverhältnis zu schaffen, das auf den Tatsachen beruht, dass es a) schon immer so war und b) keinerlei Sanktionen zu befürchten sind und dieses Machtverhältnis nicht herausgefordert wird. Wird es dann doch herausgefordert, weil mensch Diskriminierung nicht widerspruchslos über sich ergehen lässt, dann beginnt das Geheule von dem politisch-korrekten-Tugendterror-Inquisitions-Emanzen-Zensur-Scheiterhaufen-Untergang-des-Abendlandes. Dass Diskriminierung weh tut, verletzt und hilflos macht und einfach zutiefst ungerecht ist, kann nur jemand nicht verstehen, der nie mit Diskriminierung zu kämpfen hatte. Es passt also ins Bild, dass zwei weiße, bürgerliche Männer Frei.Wild verteidigen. Ich würde den Verfassern der Artikel gerne etwas mehr Selbstreflexion ans Herz legen.

Frei.Wild verwenden nun nicht oben genannte Worte. Aber ihr Berufen auf Volkstum und der Wunsch nach Ausbürgerung der Kritiker_innen sprechen Bände vom repressiven Weltbild der Band. Denn alle die „anders“ sind haben keinen Platz. Politische Korrektheit abzuwerten und lächerlich zu machen, ist schon lange ein Hobby der Rechtsextremen, das sich aus oben genannten Gründen speist. Das Credo: Man wird ja wohl noch diskriminieren dürfen. In der Verteidigung der Diskriminierung sehen sowohl Frei.Wild als auch die Autoren etwas unfassbar Rebellisches. Endlich gegen einen gefühlten, linken Mainstream schreiben und singen. Während bei Frei.Wild klar ist woher das kommt, ist es bei den Autoren unklar. Eine Antwort ist, dass sie ein narzisstisches Distinktionsbedürfnis gegen alles was links ist haben. Bloß nicht übereinstimmen, lieber Partei für Rechts ergreifen und es „denen“ mal so richtig zeigen. Dann geht es aber nicht um den Inhalt, sondern um die Autoren und ihr Selbstdarstellungsbedürfnis und gelebten Revanchismus. Was diese Befindlichkeiten in renommierten und linken/linksliberalen (???) Zeitungen zu suchen haben, ist dann die nächste Frage, finden doch die Befindlichkeiten der bösen übermächtigen Linken selten Gehör. Wer ernsthaft glaubt, dass es in Österreich oder im deutschsprachigen Raum einen linken Mainstream gibt, sollte sowieso die eigene Einschätzung der politischen Lage überdenken. Rechtsrock als Teil und Strategie rechtsextremer Ideologie gehört weder gefördert noch verteidigt.

Weitere gute Analysen zu Frei.Wild gibt es bei der Zeit und bei Publikative.

-nat

Kommunikationsstrategien der Neuen Rechten

Der folgende Ausschnitt fasst die Strategien der Neuen Rechten zusammen. Die Aufzählung versteht sich natürlich nicht als abgeschlossen.  Diese Auflistung entstammt ursprünglich meiner Diplomarbeit, die unten als Quelle auch genannt wird.

Strategie

Die ‘Neue Rechte’ hat den Rechtsextremismus auch im Bereich der Strategie modernisiert. Statt offen ihre Absichten und Ansichten kundzutun, verklausuliert sie sie oder wendet andere strategische Mittel an. Die folgende Auflistung versteht sich als Überblick über die verschiedenen Strategien. Sie versteht sich nicht als erschöpfend. Die Strategien werden nicht tief gehend und im Detail behandelt, da bei der schieren Mengen der unterschiedlichen strategischen Mittel der Platz nicht ausreichen würde.

3.5.1. Mimikry

Mimikry ist ein Verbergen der tatsächlichen Absichten beziehungsweise, wie Aftenberger es beschreibt, keine Selbstverleugnung, sondern die Strategie, bewusst Konzepte nur selektiv auszusprechen, so dass sie an einen gesellschaftlichen Diskurs andocken können.1 Ein Beispiel für rhetorisches Mimikry ist eine Aussage Thora Ruths in der rechtsextremen Zeitschrift der Deutschen in Argentinien La Plata Ruf von 1973:

Wir müssen unsere Aussage so gestalten, daß sie nicht mehr ins Klischee der ‘Ewig-Gestrigen’ passen. Eine Werbeagentur muß sich auch nach dem Geschmack des Publikums richten und nicht nach dem eigenen. Und wenn kariert Mode ist, darf man sein Produkt nicht mit Pünktchen anpreisen. Der Sinn unserer Aussage muß freilich der gleiche bleiben. Hier sind Zugeständnisse an die Mode zwecklos. In der Fremdarbeiter-Frage etwa erntet man mit der Argumentation ‘Die sollen doch heimgehen’ nur verständnisloses Grinsen. Aber welcher Linke würde nicht zustimmen, wenn man fordert: ‘Dem Großkapital muß verboten werden, nur um des Profits willen ganze Völkerscharen in Europa zu verschieben. Der Mensch soll nicht zur Arbeit, sondern die Arbeit zum Menschen gebracht werden.’ Der Sinn bleibt der gleiche: ‘Fremdarbeiter Raus!’ Die Reaktion der Zuhörer wird aber grundverschieden sein2

3.5.2. Insinuation

Insinuation heißt, etwas andeuten, so dass alle beziehungsweise die, die es sollen, ganz genau wissen was gemeint ist, ohne es zitierbar wiederzugeben.

Die Methode der Insinuation beruht auf dem Prinzip, etwas in der Sache zu behaupten, ohne es in der Form beweiskräftig behauptet zu haben. Die Eingeweihten wissen, was gesagt werden soll. Gegen jeden Außenstehenden kann das Gemeinte mit Verweis auf den nackten Wortlaut, wo es angebracht erscheint, bestritten werden. 3

Die Strategie der Insinuation ist gerichtlich schwer bis nicht zu ahnden.4 Dementsprechend wird sieverwendet, umverbotene oder gesellschaftlich sanktionierte Inhalte zu transportieren. Empören sich andere darüber, kann auf den reinen Wortlaut verwiesen werden. Besonders die FPÖ wendet diese Methode gerne an. FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl zum Beispiel sagte im österreichischen Nationalrat bei einer Debatte zum Pensionssystem, dass Pensionist_innen höhere Pensionen bekommen sollten, da sie das Land aufgebaut hätten. „Sie sind nicht davongelaufen, so wie andere aus aller Herren Länder, die sie verhätscheln“, so Kickl weiter.5Im reinen Wortlaut kann Kickl darauf verweisen, dass er ‘nur’ die heutigen Flüchtlinge gemeint habe (was auch eine rassistische und despektierliche Äußerung wäre). Im Zusammenhang mit den Pensionist_innen, die das Land aufgebaut hätten, kann auch der Schluss gezogen werden, dass es sich bei den ‘Davongelaufenen’, um Flüchtlinge zu Zeiten des Nationalsozialismus handelt.

3.5.3. Anspielungen

Eine beliebte Strategie ist auch, bestimmte Inhalte nur anzudeuten. Durch Codes und Chiffren werden die Aussagen weniger angreifbar, auch wenn das Publikum genau weiß, was damit gemeint ist.6 Die Strategie der Anspielungen erweitert somit das Feld des Sagbaren auf verdeckte und unterschwellige Art und Weise.7Der Antisemitismus der ‘Neuen Rechten’ wird nicht offen ausgesprochen, sondern über Codes und Chiffren angedeutet.8 Diese Strategie funktioniert ähnlich wie Insinuation. Hier werden Dinge zwar ausgesprochen, aber durch Codes ersetzt. So ist ‘Ostküste’ ein antisemitischer Code für ‘jüdisches Finanzkapital’9. Dieser Code gilt für die gesamte rechtsextreme Szene.

3.5.4. Semantisches Verwirrspiel

Eine weitere Strategie der ‘Neuen Rechten’ ist es, eine Umwertung von Begriffen vorzunehmen. Anstatt einen Begriff (oft der politischen Gegner_innen) völlig zu verbannen, wir dieser mit neuem Inhalt (der durchaus völlig konträr zu dem ursprünglichen steht) gefüllt. Sie bemühen sich, Definitionsmacht über bestimmte Begriffe zu gewinnen und sie in ihrem Sinne umzudeuten.10

Das geschieht zum Beispiel mit dem Demokratie-Begriff, der identitär umgedeutet wird.11 Auch der Begriff ‘Gleichberechtigung’ wird umdefiniert anstatt bekämpft. Gleichberechtigt sei eine Frau, wenn sie gemäß ihrer fraulichen Eigenschaften handeln könne und das heißt Mutter sein.12

Im Sinne des Ethnopluralismus versucht die ‘Neue Rechte’ auch die Begriffe ‘Rassismus’ und ‘Antirassismus’ neu zu besetzen. Rassistisch sei es, Menschen zur Assimilation und überhaupt zum Verlassen ihrer Heimatländer zu zwingen. Antirassistisch sei es, die Leute wieder zurück in ihre Herkunftsländer zu bringen, wo sie ihre Kultur leben könnten.13

3.5.5. Salonfähigkeit

Ein erklärtes Ziel der ‘Neuen Rechten’ ist es, die Grenzen zwischen Rechtsextremismus und demokratischen Meinungen aufzulösen, wie es der Verfassungsschützer Wolfgang Cremer ausdrückt.14 Dazu zählt es, Gäste aus dem konservativen und liberalen Bereich auf Veranstaltungen einzuladen oder als Gastautor_innen zu gewinnen. Die Junge Freiheit wendet diese Strategie erfolgreich bei ihren Kampagnen und Petitionen an, wie zum Beispiel bei jener für Pressefreiheit 1994.15Benthin attestiert der ‘Neuen Rechten’ mit dieser Strategie die Schaffung einer Teilöffentlichkeit, was für die rechtsextreme Szene tatsächlich neu ist. Damit sorgt sie für einen stärkeren Einfluss auf Diskurs und allgemeine Öffentlichkeit.16 Günther Nenning ist ein Beispiel für die ‘neu-rechte’ Strategie der Salonfähigkeit. Als vermeintlicher Grüner oder Linker publiziert er rege in vielen ‘neu-rechten’ Magazinen und gibt ihnen somit einen Anstrich von Seriosität.17

Ein anderes Beispiel ist derSammelband Multikultopia (1990) des Junge Freiheit-Redakteurs Stefan Ulbrich. Auch Heiner Geißler steuerte, wohl aus Unwissenheit, einen Beitrag dazu bei.18

3.5.6. Querfront

Mit einer Querfrontstrategie versucht die ‘Neue Rechte’ an linke Diskurse und Themen anzuschließen und einen Weg zu finden, wie sich diese Konzepte miteinander (scheinbar) vereinen lassen.19 Um den Anschluss an linke Diskurse zu schaffen, wurde schon in der Beginnphase der ‘Neuen Rechten’ Entwicklungshilfe als Kulturimperialismus und Kolonialismus gebrandmarkt, wie Günter Bartsch beschreibt.20 Günther Nenning und seine Publikationen in der Aula werden von rechter Seite als leuchtendes Beispiel der ‘Neuen Rechten’ für eine erfolgreiche Querfrontstrategie in Österreich beschrieben. 21

3.5.7. Den Rahmen des Sagbaren erweitern

Eine beliebte Strategie ist die sogenannte Salami-Taktik, bei der die Grenzen des Sagbaren nach und nach erweitert werden.22 Die ‘Neue Rechte’ versucht, das Sag- und Akzeptierbare immer mehr zu erweitern. Das heißt, Aussagen werden nicht offen rassistisch formuliert, sondern gerade so, dass sie sich innner- oder gerade außerhalb eines akzeptierten Rahmen befinden, so dass dieser erweitert wird.23 So ist der von der FPÖ häufig verwendete Begriff ‘Überfremdung’, der direkt an den Nationalsozialismus anschließt, wieder fest im politischen Diskurs verankert, nachdem er anfangs noch für Empörung gesorgt hat.24

3.5.8. Kein links, kein rechts

Eine weitere Strategie ist es zu behaupten, dass die ‘Neuen Rechten’ fernab eines links-rechts-Konzeptes stehen und von beiden Anleihen nehmen. Damit wollen sie sich aus dem rechtsextremen Eck herausnehmen und sich selbst einen offenen und pragmatischen Anstrich geben.25Ein Beispiel hierfür ist die Extremismustheorie.So fordern etwa Uwe Backes und Eckhard Jesse als Anhänger der Extremismustheorie, dass der Staat eine ‘Äquidistanz’ zu Links- und Rechtsextremismus halten soll. Gerade diese beiden Wissenschaftler publizieren selbst gerne in ‘neu-rechten’ Zeitschriften. 26

3.5.9. Kulturrevolution von rechts

Alain de Benoist, als Theoretiker dieses Modells, beruft sich in seiner Konzeption von kultureller Hegemonie auf den marxistischen Theoretiker Antonio Gramsci, der seine Gefängishefte im Gefängnis des Mussolini-Regimes schrieb. Die ‘Neue Rechte’ versuchte und versucht sich seine Theorie für ihre Zwecke nutzbar zu machen, indem sie essentielle Teile einfach ignoriert, wie die ökonomische Basis und deren Entwicklungen, die bei Gramsci eine entscheidende Rolle spielen.27 Gramscis Theorie besagt, dass in westlichen Ländern nicht analog zu Russland eine Revolution stattfinden könne, da es eine Zivilgesellschaft gäbe. Diese besteht aus Kirchen, Gewerkschaften, Medien, Vereinen und so weiter. Diese halten den Konsens der Herrschaft aufrecht. Erst wenn diese gewonnen werden, bricht der Konsens und damit die aktuelle Herrschaft, die sich dann nur noch mit Zwang als letztem Mittel behelfen kann. Für eine wahre Revolution bedarf es also intellektueller Vorarbeit. Gramsci lehnte dabei aber keineswegs, wie von Benoist behauptet, das marx’sche Basis-Überbau-Modell ab, sondern suchte die dogmatische Betonung der ökonomischen Basis als alleinigen entscheidenden Faktor zu brechen.28 Die von Benoist geforderte ‘Metapolitik’ will eine Machtübernahme im vorpolitischen Raum. Es geht dabei eben nicht um Parteienpolitik, sondern darum, den Konsens einer Gesellschaft nach rechts zu verschieben.29 Dabei entzieht er Gramsci jegliche marxistische Grundlage. Benoist ignoriert die ökonomische Basis komplett, was Gramsci so nicht getan hat. Gramsci ging es auch nicht um einen bloßen instrumentellen Nutzen. Er wollte am Alltagsverstand der Menschen andocken, um sie moralisch und intellektuell in Erwägung der eigenen sozialen Situation vom Sozialismus überzeugen zu können.30Benoist zielt hingegen in einer elitären Strategie auf intellektuelle und mediale Eliten und Multiplikator_innen, nicht aber auf die Arbeiter_innen wie Gramsci, ab.

3.5.10. Entlastungszeug_innen

Eine weitere Strategie ist es, Entlastungszeug_innen für die eigene Aussage anzugeben, die über Zweifel erhaben zu sein scheinen. Aussagen von Juden und Jüdinnen oder Migrant_innen geben scheinbar oder tatsächlich den Ausführungen der ‘Neuen Rechten’ recht. Dadurch müssen diese, nach deren Logik, wahr und immun gegen Kritik sein.31 Jäger und Jäger illustrieren diese Strategie mit einem Beispiel, in dem Hans Schirmer in der Deutschen Stimme (der NPD-Zeitung) einen amerikanischen Professor zitiert, der den Deutschen einen ‘Hitler-Komplex’ attestiert, das die Deutschen daran hindere, mit dem Nationsgedanken ins Reine zu kommen. 32

3.5.11. Relativieren

Die ‘Neue Rechte’ verfolgt nicht mehr die Strategie der Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus, insbesondere der Shoah, sondern versucht, diese zu relativieren. Dies tut sie zum Beispiel, indem sie die Gedenkkultur und Vergangenheitsbewältigung als Strategie zur Selbstgeißelung und zum Kleinhalten der Deutschen sieht, die von den Siegesmächten von 1945 oktroyiert worden sei.33 Die Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus passiert dann aber ganz im Stil der Alten Rechten, wie Iris Weber aufzeigt.34

Eine wichtige Initiative initiierte die ‘Neue Rechte’ am 8. Mai 1995, als sie unter dem Schlagwort „Wider das Vergessen“ den Tag der Kapitulation Deutschlands zu einem Gedenktag für die deutschen ‘Vertriebenen’ umfunktionieren wollte. Viele Persönlichkeiten aus dem konservativen und bürgerlichen Lager unterschrieben den Aufruf zusammen mit Protagonist_innen der ‘Neuen Rechten’.35

3.5.12. Delegitimation

Das gezielte Lächerlichmachen der gegnerischen Ideologie, der Institutionen sowie der Symbole ist eine wichtige Strategie der ‘Neuen Rechten’.36 Klaus Kunze beschreibt in seinem programmatischen Aufsatz „Wege aus der Systemkrise“, dass die Deligitimation des demokratischen Prinzips die wichtigste Aufgabe der Rechten sei. Tabubruch und gezieltes Lächerlichmachen seien die integralen Bestandteile dieser Deligitimationsstrategie.37 Ein Beispiel dafür ist, dass Political Correctness mit übertrieben religiösen und ethischen Metaphern bedacht und damit auch die Aussage dahinter, also dass Menschen sprachlich nicht diskriminiert werden sollen, delegitimiert wird.38

3.5.13. Erosion

Zielobjekt der ‘Neuen Rechten’, die Baumann im rechtsextremistischen Bereich ansiedelt, ist der innere Rand des Verfassungsbogens. Mit dieser Strategie zielen sie auf eine Erosion zwischen dem Spektrum, das noch im Verfassungsbogen liegt und jenem außerhalb ab.39 Es geht also darum, die Grenzen zwischen den verschiedenen Spektren zu verwischen. Diese Strategie baut direkt auf jener der ‘Salonfähigkeit’ auf. Zunächst versuchen sich die ‘Neuen Rechten’ als legitime Diskurspartner_innen darzustellen, dann wollen sie zeigen, dass ihre Ansichten quasi ident mit jenen des bürgerlichen Spektrums sind, um so immer weiter in dieses vorzudringen. Der Verfassungsschutz warnt insbesondere vor dieser Strategie.40 Dies schließt ein, eine ganz klare Unterscheidung von Rechtsextremismus und wertkonservativem Spektrum zu treffen. In Deutschland gibt es den politischen Konsens aller Parteien, mit rechtsextremen Parteien auf keiner Ebene gemeinsame Sache zu machen. Dieser organisatorische Konsens hält. Dies sagt aber nichts über die ideologische Nähe des wertkonservativen Flügels der CDU/CSU zur ‘Neuen Rechten’ aus. Initiativen wie „Wider das Vergessen“ zeigen besagte Erosion sehr anschaulich.41 In Osteuropa, aber auch in Österreich, wie die Regierungsbeteiligung der FPÖ ab 2000 zeigte, gab es eine Abgrenzung von konservativen Kräften zu rechtsextremen und nationalistischen nie, demzufolge kann es auch nicht zu einer ‘Erosion’ kommen.42

3.5.14. Retorsion

Retorsion bedeutet, dass sich die „ethnische Mehrheit an der Macht […] mit der Position der machtlosen Minderheit [bewaffnet] und sich gegen diese [wendet].“43Terkessidis beschreibt dies am Beispiel der Black Power Bewegung und einer Ableitung der ‘Neuen Rechten’ zu White Power. Wer für die Emanzipation der Black Community in den USA sei, müsse auch gleichzeitig für die Freiheit der Weißen kämpfen.44 Machtgefälle und Unterdrückung werden nicht wahrgenommen, sondern die Rolle der Unterdrücker_innen und der Unterdrückten wird einander gleichgestellt oder sogar ins Gegenteil verkehrt. Diese Strategie findet oft beim Thema Feminismus Anwendung, bei dem sich die ‘Neue Rechte’ permanent in der Opferrolle sieht. Der Feminismus sei der eigentliche Sexismus und dazu da, Männer zu verfolgen.45

Quelle: Strobl, Natascha (2012). Strategie und Ideologie der ‘Neuen Rechten’ am Beispiel des Funken. Diplomarbeit Universität Wien.

1 Aftenberger 2007, S. 200

2 Feit 1987, S. 25

3 Meyer 1995, S. 18

4 Cremer 1998, S. 74

5 Empörung über Aussagen von FPö-Generalsekretär Kickl 2011

6 Aftenberger 2007, S. 205

7 Jäger und Jäger, S. 98

8 Aftenberger 2007, S. 64

9 Bergmann 2005

10 Aftenberger 2007, S. 197

11 Pfahl-Traughber 1998b, S. 86

12 Brauner-Orthen 2001, S. 64

13 Aftenberger 2007, S. 156

14 Cremer 1998, S. 73

15 Aftenberger 2007, S. 203

16 Benthin 2004, S. 234

17 Perner et al. 1994, S. 50

18 Terkessidis 1995, S. 82

19 Aftenberger 2007, S. 201

20 Bartsch 1975, S. 47

21 Perner und Purtscheller 1994, S. 77

22 Jäger und Jäger, S. 114

23 Aftenberger 2007, S. 195

24 Dokumentationsarchiv Österreichischer Widerstand 1999

25 Aftenberger 2007, S. 195–196

26 Terkessidis 1995, S. 227–228

27 Aftenberger 2007, S. 92

28 Pfahl-Traughber 1998a, S. 6

29 Müller 1995, S. 17

30 Pfahl-Traughber 1998a, S. 5

31 Aftenberger 2007, S. 203–204

32Jäger und Jäger, S. 75

33 Weber 1997, S. 70

34 Weber 1997, S. 72

35 Brauner-Orthen 2001, S. 29

36 Pfahl-Traughber 1998b, S. 86

37 Pfahl-Traughber 1998a, S. 9–10

38 Auer 2002, S. 295

39 Baumann 1998, S. 101

40 Pfeiffer 2003, S. 7

41 Brauner-Orthen 2001, S. 29

42 Schiedel 2011, S. 21

43 Terkessidis 1995, S. 67

44 Terkessidis 1995, S. 67

45 Brauner-Orthen 2001, S. 62–63

Was ist das hier?

Dieser Blog versteht sich als Publikationsmedium für Erkenntnisse, Analysen und Einschätzungen zu Rechtsextremismus und speziell zur Neuen Rechten. Es wurde mir einmal gesagt, ich sammle obskure rechte Gruppierungen, zerlege und seziere sie wie Leute früher einmal Schmetterlinge gesammelt haben. Deswegen wird hier meine kleine Schmetterlingssammlung ausgestellt. Dabei gibt es aber nicht nur ein_e Autor_in. Die unterschiedlichen Autor_innen werden namentlich oder mit Pseudonym gekennzeichnet.

Alle, die mich kontaktieren wollen, können das gerne unter: Natascha.Strobl (ät) gmx.at

-nat